Montag, 16. März 2020

Corona und Gesundheitswesen: Die Stunde der Wahrheit

Die Ausbreitung der Infektion durch Coronavirus wird durch das Timing der getroffenen Massnahmen und deren Schärfe wesentlich beeinflusst. Die zeitliche Verzögerung führt auch zu einer weniger hohen Fallzahl insgesamt.

Neben der Eindämmung kommt dann die gesundheitliche Infrastruktur zum Zug. Aufgrund von Zahlen der OECD (siehe Tabelle) erkennt man sogleich, dass grosse Unterschiede herrschen. 

Die Anzahl Spital-Pflege-Betten pro Bewohner ausgenommen Betten für Pflegefälle etc., sind massiv unterschiedlich. Italien besitzt rund 3.2 im Vergleich zu Deutschland mit fast 8. Die Schweiz hat deren 4.5, wobei in der Schweiz die mittlere Verweildauer im Spital etwas kleiner sein könnte als anderswo. Bis auf Frankreich haben alle vier gezeigten Länder ungefähr gleichviel Ärzte aber  total unterschiedlich viele Pflegefachkräfte. Auch hier gibt es eine gewisse Annäherung, weil in der Schweiz möglicherweise, dank der relativ hohen Löhne, mehr Teilzeitbeschäftigte vorhanden sind.

Die OECD unterscheidet die Ärztekategorien nur sehr grob. Um eine Abschätzung für die Notfallmediziner zu treffen, könnte man das operierende Personal, hier "Surgical Group", als Stellvertreter heranziehen. So gesehen fällt nur Frankreich deutlich aus dem Rahmen.

Bie den Kosten schwingt die Schweiz in diesem Vergleich deutlich oben aus. Mit fast 10'000 CHF im Vergleich mit den geringen knapp 3000 CHF in Italien glaubt man zwei verschiedene Sachen zu bewerten. Auch wenn man einen Drittel zur Kaufkraftkorrektur anführen würde, ist das System in der Schweiz doppelt so teuer wie in Italien. 

Vor alle die Amerikaner gehen davon aus, dass der Staat Gelder nur schlecht einsetzen würde. Deshalb legen sie noch viel Wert auf die Quote zwischen privaten und staatlichen Ausgaben im Gesundheitswesen. Nach diesem Mass wäre die Qualität der Versorgung in der Schweiz höher, weil der private Anteil rund einen Drittel der Ausgaben ausmacht. Für die Schweiz ist bekannt, dass mit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung Mitte der 90er Jahre die Kosten begonnen haben zu galoppieren.

Frank-
reich
ItalienDeutschlandSchweiz
Bevölkerung [Mio]6760.582.88.5
Spitalbetten [Tsd]399.9192.5661.438.2
Ärzte [Tsd]211.2241.5351.236.3
Surgical Group [Tsd]31.860.597.76.9
Pflegende [Tsd]--3511069146
Spitalangestellt (FTE)/Bett2.93[2.9]1.524.32
Ausgaben EUR/CHF3930256045939907
Obligatorisch/staatlicher Teil EUR/CHF3278190038796310
Anteil 65 Jähriger und älter [%]19.722.621.418.3
Spitalbetten/10^35.973.187.994.49
Ärzte/10^33.153.994.244.27
Surgical Group/10^30.471.001.180.81
Pflegende/10^3[9]5.8012.9117.18
(Quelle: https://stats.oecd.org/Index.aspx?DataSetCode=HEALTH_REAC&mod=article_inline#)

Aufgrund diese paar Kennzahlen kann man sicher unterschiedliche Erwartungen für die Bekämpfung der Infektion hegen. Es wird immer wieder auf das ausgeprägte Sicherheits- und Vorsorgedenken der Schweizer verwiesen. Seit aber die Paranoiker des Kalten Kriegs ausgestorben sind, kann man hier Zweifel bekommen. Dass bei noch nicht ausgebrochener Epidemie die Schutzmasken in der  Schweiz schon ausgehen, spricht für sich.

Die behördlichen  Massnahmen bestimmen mit, wie das Gesundheitswesen belastet wird. Zwei Parameter sind wesentlich: die Frühzeitigkeit und die Schärfe der Massnahmen. Hier wollen wir nur die weitgehende Schliessung des öffentlichen Lebens, also Schulen, nicht-lebensnotwendige Geschäfte, Grenzübertrittbeschränkungen betrachten. Im Vergleich dazu sind die zwar sehr wichtigen, aber psychologisch wenige eindringlichen Massnahmen wie Händewaschen, nicht so wirksam. Die Eindämmung ist ein Produkt aus Anzahl Kontakten und deren hygienischen Qualität.

Wir wollen im folgenden die zeitliche Verschiebung der Länder Italien, Deutschland und der Schweiz abschätzen. Dazu nehmen wir die offiziellen Daten, gesammelt von der Johns Hopkins Universität, wie sie nach Massgabe der Vorlagen der ESRI, einer uneigennützigen Organisation, vorliegen. Das es sich um eine globale Angelegenheit handelt, ist eine standardisierte Darstellung sehr wünschenswert. Dies ist eine Aufforderung an die eidgenössischen Behörden.


Abb 1: https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4
Abb 2: http://opendatadpc.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/b0c68bce2cce478eaac82fe38d4138b1
Abb 3. https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html

Aus letztere Darstellung entnehmen wir die Fallzahlen per 15. März 2020 (die Iden) nach folgender Tabelle (Bevölkerungszahlen sind durchgängig für 2018):

16.3.2020InfizierteBevölkerungInfizierte/10^6Infizierte/ 10^3 Betten
Italien2474760.5409.04128.56
Frankreich54236780.9413.56
Deutschland581382.870.218.79
Schweiz22008.5258.8257.59

Mit den momentan Infizierten und der Kurve für Italien, die in dieser sehr vereinfachten Darstellung als Mass genommen wir, kann man den zeitlichen Verzug der einzelnen Länder abschätzen. Diesen liest man aus der Abb 4. aus.
Abb 4: Kumulierte Infizierte pr 10^6 Einwohner von Italien (blau), Aequivalenzwerte für Deutschland (rot), Frankreich (gelb) und die Schweiz (grün).
Grob geschätzt läuft die Schweiz nur rund 2 Tage hinterher, Deutschland und Frankreich haben einen Verzug von rund 9 Tagen. Da nun mehr oder weniger die gleichen Massnahmen gelten, sollte vor allem Deutschland auch wegen der relativ breiteren Infrastruktur in einer besseren Situation sein als die anderen.  Die Schweiz hat etwa eine Woche durch Zaudern verloren. Sie kann etwas Boden gutmachen durch die bessere Infrastruktur und die Tatsache, dass sie eine geringfügig jüngere Bevölkerung aufweist als Italien.

Die analoge Überlegung kann man sich im Verhältnis zu den Spitalbetten machen. Dann sieht die Situation wie folgt aus (Abb. 5):

Abb. 5: Verzug gemessen an der Bettkapazität, Italien (blau),  Deutschland (rot), Frankreich (gelb) und Schweiz (grün).
Hier sind die Vorläufe wie folgt: die Schweiz 5 Tage, Frankreich 12 und Deutschland 15.

Erst viel später werden wir die Mortalitäten verlässlich schätzen können. Es wird aber unerlässlich sein, die Gesundheitsinfrastruktur kritisch zu überdenken.

Update 25.3.2020

Die Nachrichten haben berichtet, dass die Schweiz Italien überholt hat in Bezug auf die Infizierten pro Bevölkerung. Die Zahlen vom 24.3.2020 belegen dies. Wenn man aber in Betracht zieht, dass in Italien die Verteilung zwischen den Regionen stark inhomogen ist, versteht man, wieso in der Schweiz immer noch den Sturm erwartet. Die Abb. 6 zeigt den Verlauf für Norditalien mit 33 Mio Einwohnern und 86% der Fälle.

Nach dieser Analyse hinkt die Schweiz rund 4 bis 5 Tage hinter Norditalien her. Der Kanton Tessin eher weniger.
Abb. 6: Vergleich der Verläufe am 24.3.2020
Wir betrachten das Verhältnis zwischen er Anzahl Toter zu Infizierten. Ein Vergleich zwischen Italien und der Schweiz ist eklatant. Natürlich ist der Bezug problematisch, wie bei  der Scheidungsrate bekannt. Zudem spielt die Anzahl Tests eine Rolle. Aber in der Schweiz werden nur die Älteren und die Risikogruppe getestet. Dann bleibt die Ursachenzuschreibung für den Tod. Bekanntlich liegt bei den meisten eine Komorbidität vor, d.h. andere Vorerkrankungen, die zusammen mit dem Virusinfekt lethal sind. Das Virus hat den Ausschlag gegeben. Deutchland folgt aber anscheinend nicht dieser Lösung. In der Schweiz kann man vermuten, dass es vom Kanton abhängt, ist nicht ganz ernst gemeint.

Abb 7: Verhältnis Toter zu Infizierter in der Schweiz und Italien.

Es liegt fast ein Faktor 10 dazwischen. Nur das höhere Alter der Italiener oder bessere Medikation, die bekanntlich nicht existiert, sind nicht ausreichende Gründe. In China hat sich diese Quote bei fast genau 4% stabilisiert.

Korollar: Frankreich hat auch nachgezogen mit der visuellen Darstellung der Fallzahlen (https://www.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/5e09dff7cb434fb194e22261689e2887) . Die Niederlande ebenfalls:
https://www.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/cfc2084c995c40e7ae72254029bf6251.
Und Slowenien: https://www.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/1cf4f90e05984ae5a365f4838f746138

Die Schweiz sammelt anscheinend Daten per Fax ein, nämlich die der Arztpraxen.

Datenquelle


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