Montag, 12. September 2016

Je planmäßiger die Menschen vorgehen, ...

desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. Dies sagt Dürrenmatt in seinen Kommentaren zu "Die Physiker". 

Moltke, der große General, in seinem Aufsatz zur Strategie (1871):
Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus. Nur der Laie glaubt, in dem Verlauf eines Feldzuges die konsequente Durchführung eines im voraus gefassten, in allen Einzelheiten überlegten und bis ans Ende festgehaltenen, ursprünglichen Gedankens zu erblicken.
Dwight "Ike" Eisenhower, ein Manager-General, äußerte:
In preparing for battle I have always found that plans are useless, but planning is indispensable. 
In allen drei Aussagen kommen Zweifel am Plan auf, respektive an einer naiven Anwendung desselben. Der Schatten des Plans ist das Budget, die zahlenmäßige Wiedergabe des Plans, wie es in der Wirtschaft der Fall ist. 

Der Plan ist eine Mutmaßung über die eigene Zukunft oder die von anderen, vielen, Massen. Der Planer zielt auf etwas ab. Die Planung setzt voraus, dass man die Fähigkeit besitzt, gedanklich Handlungen und Interaktionen vorwegzunehmen.  Die Umwelt, in der sich der Plan realisieren soll, ist -- um eine Kategorisierung zu wagen -- entweder einfach oder kompliziert oder komplex wenn nicht gar chaotisch (Snowden and Boone, 2007). Wenn man die Problematik in die Domäne der Spiele transponiert, so entsprechen der komplizierten Situation sogenannten finiten Spielen, deren bekanntester Vertreter  das Schach ist. Finite Spiele haben endliche Möglichkeitsräume und besitzen eine optimale Strategie. Wenn zwei Schachcomputer gegeneinander spielen und sie richtig programmiert sind, dann gewinnt immer "weiß". Komplexe Spiele sind unendlich; es existiert keine optimale Strategie. Zurück zum anfänglichen Setting: Planung in komplexen und damit auch in chaotischen Situationen ist sinnlos, weil nicht adäquat.

Einfache und komplizierte Probleme oder Umwelten erfordern deterministische Methoden. Bei einfachen Problemen reicht eine Kategorisierung und die Beobachtung, für komplizierte muss man analysieren. Komplexe Situationen verlangen ein Probieren, Optionen und Szenarien, weil viele Möglichkeiten sich realisieren können. Die Methoden der Wahl sind probabilistisch. Chaotische Situationen verlangen Handlung, die durch eine Vision und Werte geleitet wird. Beispielsweise entdeckt man einen gefährlichen Fehler bei einem Auto. Diese müssen unverzüglich zurückgerufen werden, und zwar bevor man sich Gedanken zu Kosten, Image, legalen Implikationen etc. gemacht hat. Die Handlung ist imperativ.

Die Vorstellung, man könne durch Reduktion und Vereinfachung ein schwierigere Situation in eine einfachere verwandeln, so dass man deren Werkzeuge, z.B. ein Plan, ansetzen könnte, erweist sich im allgemeinen als schlechte Idee. Denn der Komplexitätsgrad ist gerade ein konstituierendes Merkmal der Situation. 

Kehren wir zu unseren drei Eingangszitaten zurück. Dürrenmatt insinuiert mit seinem merkwürdigen Komparativ, dass man auf die wahrgenommene Komplexität mit mehr planerischem Eifer reagiert. Und gerade dort ist man zum Scheitern verurteilt, weil es ein nicht adäquates Mittel darstellt.

Moltke operiert in einer chaotischen Umwelt, in der nur die ersten eigenen Schritte bestimmt sind. Dann setzt der Wille, die Möglichkeit und die Schlauheit des Gegners ein und schränkt seine Reaktionen wiederum ein. Der zweite Gedanke ist eine Vorwegnahme des Attributionsfehlers. Im Nachhinein wird alles rationalisiert und heroisiert, mit Sinn gefüllt, so dass der Naive meinen könnte, alles sei planmäßig abgelaufen. Hier liegt der zweite Irrtum verborgen.

Eisenhower, der ja im zweiten Weltkrieg grosse Verantwortung trug, obwohl er vor seinem Einsatz wenig direkte Führungserfahrung und schon gar nicht mit großen Einheiten hatte, verkörpert den amerikanischen Typus von Manager mit seinem vertieften Organisationswissen. Deshalb gilt sein Spruch ebenso für die Unternehmensführung. Als erstes fällt die Kontraposition von Struktur (Plan) und Prozess (Planung) auf, oder andersherum von Statik und Dynamik. Auch er impliziert, wie könnte es auf dem Schlachtfeld anders sein, eine komplexe Situation. Und auch er kommt zum Schluss, dass ein Plan hier nichts nützt. Die Planung als Beschäftigung allerdings erzeugt eine Sammlung von Gedanken, Möglichkeiten, Annahmen, die als gute Vorbereitung dienen, im Einsatz auf schon Gedachtes zurückzugreifen.

Warum sind aber immer noch so viele Unternehmungen auf Pläne und ihre zahlenmäßige Darstellung als Budget fixiert? Gerade heute, wo im Nachgang der verketteten Krisen so vieles in Frage gestellt ist, wo ökonomische Lehrbuchmeinungen keine Gültigkeit mehr haben! Es ist ein erlerntes, inadäquates Verhalten, das vielen Managern als Anker erscheint aus einer fernen, nicht mehr pertinenten Zeit. Es ist auch ein Unbehagen gegenüber dem Zufall, der einen hilflos erscheinen lässt. Es ist auch ein Fundament, solide in Luft verankert, das Leistung und Belohnung steuert. Allerdings gibt es auch viel Frustration, wenn man erkennen muss, dass die eigenen intellektuellen Fähigkeiten nicht ausreichen, um die Realität zu bändigen.

Man kann nur fordern: "Stick to reality" und vergiss "Stick to the plan." 


Referenzen



Snowden, David J.  and Mary E. Boone: A Leader’s Framework for Decision Making. Harvard Business Review, November, 2007.