Donnerstag, 13. August 2020

Industriepolitik in Zeiten der Krise


Zusammenfassung

Die Welt ist nach der Corona-Krise eine andere; wir wissen aber nicht was sich geändert hat.
China zeichnet sich immer deutlicher als künftiger Hegemon ab, der die USA überflügelt. Seine Infiltrationsstretegie hat sich als raffiniert erwiesen, die subtiler als die USA ihre Interessen durchsetzt. Die USA ziehen sich noch mehr aus der fiktiven Weltregierung zurück und fördern damit die Chinesen.
In Zeiten von Krieg ist es wichtig, Alliierte zu haben und Schwerpunkte setzen zu können. Die Schweiz wird herausgefordert, neue Spielregeln anzuwenden. Der Musterknabe der Regelbefolgung hat ausgedient.
Mit der Corona-Krise hat sich das Portfolio der Eventualverpflichtungen des Bundes radikal verändert. Darin ist die Schweizerische Exportrisikoversicherung SERV mit rund 1% versichertem Exportvolumen ein Zwerg, wenn man sie in den Kontext der 50 Mrd. CHF Garantien stellt. Der Bund muss ein zentrales Management mit spezifischem Knowhow aufbauen. Darin wird die SERV-Verpflichtung enthalten sein und einem Vergleich mit den anderen Verpflichtungen ausgesetzt. Die geförderten Arbeitsplätze des Exports treten in Konkurrenz mit anderen Fördermassnahmen, z.B Start-ups der ETH etc.
Aufgrund des voraussichtlich länger andauernden Verlusts der Kreditwürdigkeit in Afrika, Lateinamerika und Fern-Ost werden weniger Infrastruktuprokjekte umgesetzt und die Konkurrenz der Anbieter erhöht. Die vom BR initiierte Förderung der Infrastrukurprojekte wird ohnehin Ende 2020 neu beurteilt.

Ziel und Zweck

Die Welt hat sich im Frühjahr 2020 radikal verändert. Durch die Corona-Krise sind neben der allgemeinen psychologischen, soziologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen aber auch schon latent oder wenig beachtete Verhältnisse deutlicher hervorgetreten.
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis -- die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen--, wie die Lateiner schon sagten. Wie wir uns ändern, ist aber noch völlig unklar.
Was hat aber die Krise aufgedeckt? Die Erkenntnisse aus dem verwüsteten 20. Jahrhundert, Völkerbund, UNO, Bretton-Woods- Organisationen, die embryonalen Vorboten einer Weltregierung oder zumindest eines regelbasierten Auskommens der Völker sind am Zerfallen.
Ein unverstandener Riese im Osten erhebt sein Haupt, um immer deutlicher zu machen, wer der neue Hegemon ist.
Der Staat als letzte Zuflucht, der Insurer of last resort wird auch von den neuen Libertären in Anspruch genommen, als ob man die letzten dreissig Jahre Deregulierung, Eindämmung des Öffentlichen, "Washington Consensus", rückgängig machen könnte.
Der Staat sieht sich neuen Akteuren gegenüber, den riesigen Einzelunternehmen, wie Tencent, Alibaba, Facebook und Amazon, die Milliarden von Kunden und ihre Daten verwalten, keine Verantwortung dafür tragen oder gar ihren Heimländern zudienen.
In dieser Welt wäre die Maxime si vis pacem para bellum -- wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor -- eine ernsthafte Überlegung wert. Dies ist für die Schweiz allerdings ein absolutes Novum.
Im folgenden wollen wir eine zugegebenermassen negativen Ausblick geben, um Überraschungen vorwegzunehmen. Es soll keine Prophezeiung sein, man weiss aber ja nie.

Die alte Welt wie sie schon nicht mehr war

Zerfall der Ordnung

Die Fiktion einer Weltregierung durch Regeln und Institutionen sind im Ersten Weltkrieg entstanden, vom amerikanischen Präsidenten Wilson propagiert und dann von den USA nicht ratifiziert worden. Noch ein Weltkrieg hat dann die Welt in zwei Systeme geteilt, die sich als alleinige gültige Modelle dargestellt haben. Bis zum Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch des sowjetischen Sozialismus sind etliche Millionen Menschen in Stellvertreterkriegen umgekommen. Da ist dann doch nicht das Ende der Geschichte ausgebrochen, wie es Fukuyama glaubte. Huntington prophezeite geopolitische Probleme an den Stellen, wo der Islam auf westliche Werte stösst. Der fundamentalistische Terrorismus ist die neue Front.
Die Vereinigten Staaten sind daran, die globalen Institutionen zu verlassen und wichtige Vereinbarungen zu kündigen. Institutionen wie die Bretton Woods Institutionen oder Entwicklungsbanken sind keine demokratischen Institutionen im dem Sinne, dass die ungleichen Geldgeber wie Aktionäre bestimmen. Diese Tendenz kann man nicht dem jetzigen Präsidenten alleine anlasten. Schon Bill Clinton und vor allem seine in Prag geborene Aussenministerin haben die Europäer regelmässig vor den Kopf gestossen. Bei näherer Betrachtung ist das aber nicht wirklich etwas Neues. Vor bald zwei Jahrzehnten schrieb Kagan (2003):
And, of course, Americans increasingly tend toward unilateralism in international affairs. They are less inclined to act through international institutions such as the United Nations, less likely to work cooperatively with other nations to pursue common goals, more skeptical about international law, and more willing to operate outside its strictures when they deem it necessary, or even merely useful.
Europeans insist they approach problems with greater nuance and sophistication.
Die Institutionen fussen auf den Gegebenheiten, wie sie bei der Gründung vorlagen. Beispielsweise ist es Japan als Kriegsverlierer nie gelungen, die der eigenen Wirtschaftskraft angemessene Vertretung, sei es in den Führungsgremien oder an Stimmkraft, zu erlangen. Weltbank und Währungsfonds werden seit jeher von Amerikanern und Europäern geführt. Sie haben es im Laufe der Zeit nicht verstanden, sich neuen Verhältnissen anzupassen, sondern sind in alten Schemata verblieben. Dadurch wurde auch die Bedeutung dieser Organisationen unterminiert.
So wie die Vereinigten Staaten die Institutionen als politische Instrumente verstehen, genauso tun es die Chinesen. Nur, der eine räumt das Feld, während der andere sich darin ausbreitet, beispielsweise bei der Weltgesundheitsbehörde.
Wenn alte Gefässe nicht brauchbar sind, kann man es ja mit neuen versuchen. Die IWG, International Working Group on Export Credits, wurde 2012 lanciert, um die Schwellenländer einzubinden, die nicht der OECD betreten können und vor allem wollen. Dieser Versuch, aus dem Alten auszubrechen, wird aber von den jetzt zu mächtigen Chinesen vereitelt.
Auch die Europäische Union, aus der Montanunion hervorgegangen und ein Kind des Krieges, ist durch die Corona-Krise noch stärker unter Druck, den Fliehkräfte entgegenzuwirken. Im geopolitischen Mächteverhältnis wird Europa als alt und schwach wahrgenommen, das nicht neue Entwicklungsschwerpunkte setzen kann. Es ist der alternde Konsument, der sich von Migranten bestürmt fühlt. Zudem lässt er sich nach der chinesischen Strategie "using the countryside to surround the city" spalten (analog hat China mit dem Teilstaat Victoria verhandelt und die Zentralregierung Australiens umgangen).

Modernisierung und Theorie

In der Nachkriegszeit herrschte lange die als Modernisierungstheorie bekannte Idee, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung werde durch Überwindung traditioneller Vorstellungen ermöglicht. Grob gesprochen wurde die anzustrebende Modernität mit dem Vorbild der westlich-kapitalistischen Gesellschaften gleichgesetzt. Tradition galt als überholt, nur endogene Faktoren waren Ursachen von Unterentwicklung. Fortschritt ohne Demokratisierung schien nicht machbar. Wir wissen, dass diese Idee gescheitert ist. China ist das beste, aber nicht das einzige Beispiel. Die Reu ist lang, der Wahn ebenso.
Die einfache Erkenntnis ist, dass auch Autokratien oder gar Diktaturen wirtschaftlich erfolgreich sein und vielleicht noch schneller im Materiellen vorankommen und dabei auch noch ihre eigenen Kulturmerkmale beibehalten können.
Das bedeutet für die sogenannt entwickelten Länder, beim Aufstieg einer neuen Wirtschaft eine zusätzliche Akkulturationsleistung erbringen zu müssen.

Der Hegemon

Der Aufstieg Chinas seit den 90er Jahren ist schier unglaublich (Economist,  2018). Seit 2013 ist China die grösste globale Volkswirtschaft gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttonationalprodukt. In Dollar ist es allerdings immer noch einiges kleiner als die Vereinigten Staaten. Das Pro-Kopf-BNP hat sich seit 1990 verzehnfacht, wogegen es sich in anderen Schwellenländern nur verdoppelt hat.
Die Entwicklung hat bis auf zehn Millionen Chinesen fast alle 750 Millionen aus der Armut befreit und damit global für zwei Drittel der Abnahme gesorgt.
Anderseits hat die Volksbefreiungsarmee massiv investiert. Im Pazifik wären die Vereinigten Staaten schnelle durch Präzionswaffen der Chinesen ausgeschaltet. Wie ein neues Buch von Christian Brose (2020), einem Berater von John McCain, zeigt (The Washington Post, 2020):
Our spy and communications satellites would immediately be disabled; our forward bases in Guam and Japan would be “inundated” by precise missiles; our aircraft carriers would have to sail away from China to escape attack; our F-35 fighter jets couldn’t reach their targets because the refueling tankers they need would be shot down.
Vor ein paar Jahren (2007) haben die Chinesen zwei Satelliten in der Umlaufbahn mit einem bodengestützten sogenannten Kinetic Kill Vehicle zerstört.
Eine weitere negative Folge des Wachstums ist, dass China für rund 55% der Zunahme der Kohlendioxid-Emission verantwortlich ist.
Seit kurzem haben die Botschafter Chinas den Modus geändert, von zurückhaltend auf aggressiv. Zum Botschafter in Paris, Lu Shaye (The Wall Street Journal,  2020):
China’s ambassador to France, Mr. Lu, has risen through the Foreign Ministry’s ranks over the years as he advocated for tougher diplomacy. In a 2016 paper, published when he was policy-research director for the Communist Party’s top foreign-policy committee, Mr. Lu said Chinese diplomats must battle with the West and convince more countries to “accept China, as a major Eastern power, standing at the top of the world.
China kauft strategische Infrastrukur weltweit, im Westen sogar Hollywood-Produzenten und Fussballklubs, baut mit der Belt and Road Initiative Stützpunkte und potentielle Abhängigkeitsverhältnisse, versucht den Renmimbi als Weltwährung zu etablieren, baut eine Konkurrenz zum Zahlungsverkehrsanbieter SWIFT auf, und versucht auch noch die EU weiter zu spalten, indem sie Autokraten unterstützt etc.
Im Kampf mit den Vereinigten Staaten wird China als Kontrahent geadelt. China ist überzeugt, das bessere System zu vertreten und ist gewillt, dies in der Welt zu behaupten.
Der Westen ist aber nicht einfach ein Opfer. Er hat jahrzehntelang Geschäft den humanistischen Werten vorgezogen. Wir wollen nicht vergessen, wie der Westen Millionen von Chinesen in die Opiumabhängigkeit getrieben, einzelne sich schamlos bereichert und damit das Land gedemütigt hat. China hat dies nicht vergessen. China ist aber auch eine Zauberlehrling des Westens, den man nicht mehr einfangen kann.
China soll nicht bloss als Gefahr wahrgenommen werden, aber die Zeit der Unschuld und der Naivität sollte vorbei sein. Mit der Auslagerung unserer Produktion sind auch die entsprechenden Fertigkeiten mitgegangen. Dort wo keine secret sauce vorhanden ist, ist das Know-how weg.
Gewisse technologische Domänen sind jetzt schon fest in chinesischer Hand, nämlich u.a. die Künstliche Intelligenz, Block-chain, ja sogar Kryptowährungen. Das Crypto-Valley in der Innerschweiz ist ein Winzling. Man schaue sich das chinesiche Industrieprogramm von 2015 an. Es strebt die Führerschaft bis 2025 in folgenden 10 Bereichen an:
  1. Information Technology (AI, IoT etc.),
  2. Robotics  (AI, ML etc.),
  3. Green energy and green vehicles ,
  4. Aerospace equipment,
  5. Ocean engineering and high tech ships,
  6. Railway equipment,
  7. Power equipment,
  8. New materials,
  9. Medicine and medical devices,
  10. Agriculture machinery.
Wie sieht unsere Liste aus?

Das Unverständnis

Die meisten Leute im Westen wissen fast nichts über China, seiner Geschichte, seiner Kultur, ausser vielleicht der Kulinarik. Auch gebildete Menschen können nicht eine der besten Universitäten benennen -- nach dem Ranking der Times ist es die  Tsinghua University. Der Autor nimmt sich hier  nicht aus.

Abb. 1: Inglehart–Welzel Karte von 2011

Die Abb. 1 gehört zur sehr bekannten mehrjährigen Studie "World Values Survey", die 1981 begonnen wurde. Es gibt zwei Achsen: survival versus Self-Expression und traditionell versus sekulär-rational.
Traditionelle Werte gruppieren sich um die Religiosität, Familienbanden, Autoritätsgläubigkeit, Familienwerte, wie zum Beispiel Ablehnung von Abtreibung, Scheidung und Selbstmord.
Sekulär-rational ist dann das Gegenteil. Der Weg in Richtung Sekularität wird mit Zunahme von Wissenschaft und Bürokratie identifiziert.
Survival values werten wirtschaftliche und physische Sicherheit sehr hoch, haben einen ethnozentrisches Verständnis und  tiefe Vertrauens- und Toleranzwerte. Im Gegensatz dazu wertet "Self-expression" das subjektive Wohlbefinden, Selbstverwirklichung und Qualität des Lebens sehr hoch. Dazu gehört auch Umweltschutz, geringe Fremdenfeindlichkeit, Toleranz gegenüber anderen, hohe Anforderungen an Teilhabe und Demokratie usw.
Der Übergang von Überleben zu Selbstausdruck ist mit dem Weg von der Industriegesellschaft zur post-industriellen Gesellschaft gleichzusetzen.
Wenn man nun das Verhältnis von der Schweiz mit den USA und China vergleicht, dann sieht man u.a.:
  • wir sind ähnlich individuell-freiheitsliebend aber einiges moderner oder weniger religiös als die USA,
  • China ist extrem stark ethnozentrisch und sicherheitsbetont, was wir in der Schweiz und weiten Teilen Europas schon lange hinter uns gelassen haben.
Der zweite Aspekt kann man nicht einfach mit dem Wohlstandsniveau begründen. Selbst aufgeschlossene Chinesen, die im Ausland waren, finden den Westen konfus, chaotisch und beunruhigend. Deshalb befürworten sie auch bei uns nie akzeptable Überwachung und Kontrollen. Denn damit wird in ihren Augen Harmonie hergestellt.
Auf den ganz kurzen Nenner gebracht lautet die Dichotomie: Harmonie versus Freiheit. Aus dieser Perspektive ist China kein valabler Hegemon, sondern wird als übergriffig empfunden. Die offene Gesellschaft unterliegt seinen Feinden.
Dieses Jahrhundert sei das Jahrhundert Chinas. Wir sollten zumindest versuchen, unsere Eigenarten bewahren zu können, was wir aber sicher nicht alleine schaffen. Es gilt allgemein: Nur Vertrauen schafft Sicherheit. Kann man China trauen?

Corona-Krise

Da das Corona-Virus in China übergesprungen ist -- und dann als Covid-19-Erkrankung bezeichnet wurde -- sind erhebliche, sicher nicht gänzlich unberechtigte Vorwürfe an diese Regierung gemacht worden hinsichtlich Transparenz, Information, Kooperation etc. Mit einiger Verzögerung ist die Krankheit auch in Europa und dann in den Vereinigten Staaten ausgebrochen.
Neben den akuten sanitarischen Massnahmen sind bald die wirtschaftlichen in den Fokus gerückt. Schnell hat sich gezeigt, dass die Wirtschaft ein komplexes Geflecht ist, das man nur schwer steuern kann. Deshalb war der erste Reflex, Liquidität zu spenden, sicher sehr angezeigt.

Einnahmequellen aus Export sind in aller Munde. Nur steht man hier in ausgesprochener Konkurrenz mit immer mehr Anbietern um die Gunst von immer weniger und stärker krisengeschüttelten Bestellern. Technisch wäre es ein leichtes, das gentlemen's agreement (OECD Arrangement) zu unterlaufen. Aber zum einen verliert man potentielle Verbündete, die man später noch brauchen wird und setzt öffentliche Gelder nicht effizient ein. Zudem sind Länder mit deutlichem Handelsbilanzüberschuss nicht sehr beliebt, denn es besteht der Vorwurf, sich auf Kosten anderer zu bereichern. Wenn man dann noch der Vorwurf der Währungsmanipulation hinzukommt, kann es auch einseitige Sanktionen provozieren.

Finanzierung und Garantien

Die Pandemie hat die Wirtschaft und das soziale Leben während beträchtlicher Zeit lahmgelegt. Rund 37% der Arbeitnehmenden sind in Kurzarbeit getreten. Aufgrund der  verschiedenen Gefässe ist ein Überblick nicht ganz einfach. Grössenordnungsmässig sind rund 70 Mrd. CHF zur Verfügung gestellt worden, wobei 20 Mrd. CHF an Arbeitnehmer gehen und 50 Mrd. CHF als Kreditgarantien ausgereicht wurden.

Kredite kann man in Finanzierung und Kreditrisikoübernahme aufteilen und dann den zwei Akteuren zuweisen, die da sind der Bund für das Risiko und das Bankwesen für die Finanzierung. Nun gilt es die Garantien zu verwalten.

Verlorene Kreditwürdigkeit

Die meisten Wirtschaftsminister beschwören die Gemeinschaft, den internationalen Handel und die Exporte aufrecht zu erhalten. Exporte auf Kredit (on credit terms) zu tätigen ist aber schwierig. Wie Tabelle unten zeigt, haben sich die Ratings erheblich verschlechtert. Damit wächst das Risiko von Exporten, und zwar nicht nur kurzfristig sondern auch auf fünf Jahre hinaus.

  Ratingverschlechterung in "Notches" auf der Basis von Sovereign CDS (Quelle: Risk Control Limited, 22.5.2020).}

RegionKurzfristigMittelfristig [5a]
Europa21.3
Naher Osten3.12.4
Asien-Pazifik2.62.9
Süd- und Lateinamerika2.92.8
Afrika4.33
Finanzinstitute haben sich noch nie, entgegen einer etwas oberflächlichen Logik, der Risikoabgeltung hingegeben. Konkret heisst das, dass man nicht einfach höhere Prämien verlangt angesichts höherer Risiken. Man arbeitet daneben mit der Risikokontingentierung, um ein sicheres Geschäft zu betreiben.

Aufgrund der neuen Lage muss sich ein Kreditversicherer der Frage stellen, wie er die Versicherbarkeit neu beurteilt. Es kann nicht sein, dass er fälschlicherweise annimmt, auch in den Schaden versichern zu müssen. Aber Kontingente werden nicht beliebt sein und die Frage nach der Gleichbehandlung aufwerfen.

Aus der Corona-Krise ergibt sich eine Notwendigkeit, die staatliche Aufgaben in Abgrenzung zur privaten Wirtschaft zu überdenken und neu zu organisieren.

Last Resort

Der Staat ist wieder als letzte Bastion, als "last resort" in Anspruch genommen worden. Die britsche Regierung formuliert ganz aktuell (HM Treasury, 2020, 6):
The spread of democracy and the rise of the welfare state over the late 19th and 20th centuries saw the government’s role guarding citizens against risk grow. As part of its responsibility to citizens the government now plays the role of insurer of last resort in a wide range of markets including flood risk, terrorism insurance, travel protection and supporting lending to small businesses. The insurer of last resort role creates liabilities that are uncertain but that may lead to future expenditure if specific conditions are met or specific events happen. Such liabilities are known as contingent liabilities. 
Das IMF (2017) hat die Thematik auch schon besprochen.
Ganz aktuell sind in der Schweiz die 50 Mrd. CHF an Kreditgarantien dazugekommen. Das zwingt zu einer organisatorischen Neufokussierung. Die Garantien des Bundes sind über viele Departemente und Dienststellen verteilt, man denke an die  Schiffsbürgschaften, die ECA, die Arbeitslosenversicherung etc. Es gibt kein erkennbares zentrales Management.

Contingency Management

Contingent Liabilities sind Eventualverbindlichkeiten. Sie nehmen beim Staat vor allem zwei Formen an, nämlich:
  •  Finanzgarantien und
  •  Versicherungen.
Hier vernachlässigen wir Rechtsfälle des Staates oder Haftpflichten in Zusammenhang mit staatlichen Aktivitäten, z.B. Sprengung eines Munitionslagers, atomarer Störfall etc. Auch gezielte Steuererleichterungen sind ein Instrument der Absicherung und Förderung des Staates, die es nicht zu vergessen gilt.

Während Garantien drei Parteien umfassen, nämlich Garant, Antragsteller und Begünstigter, sind Nicht-Leben-Versicherungen nur zweiseitig. Bei Versicherungen sind die üblichen Prinzipien gültig, wie Schaden als Voraussetzung von Entschädigung, Zufälligkeit des versicherten Ereignisses etc.

Die Corona-Krise wird dazu führen müssen, dass der Staat ein explizites, professionelles Risikomanagement seiner Eventualverpflichtungen einrichtet. Nur so kann es die knappe Ressource einigermassen effizient und transparent beherrschen.
Das bedeutet für die Exportförderung, dass ihre Leistung dem Vergleich mit anderen Risikoquellen ausgesetzt wird. Wo steht  die SERV in einem solchen Vergleich? Die SERV bindet rund 3 Mrd. CHF an Eigenkapital.  Dieser Betrag ist in der neuen Welt nach Corona zwergisch.
Die Export und Import-Zahlen in absoluten Grössen zeigt folgende Zusammenstellung für das Jahr 2019:

Export312
Import276
Saldo36
Hierzu muss man die Deckungssumme für das entsprechende Jahr der SERV vergleichen:  3.6 Mrd CHF (Geschäftsbericht 2019). Das sind 1.15% des Exports. Und wenn man nur die Schweizer Wertschöpfung berücksichtigt, dann ist es noch weniger, Merchanting nicht enthalten ist.

Schwerpunkte und Allianzen

Dass der Hegemon ein Schweinehund sein muss, um auf der Welt eine gewisse Ordnung durchzusetzen, ist nicht neu. Der Unterschied liegt darin, dass die USA trotz allem unserer Kultur und Tradition viel näher liegen als China. Man schaue dazu nochmals auf die Abb.~\ref{fig:ingle}. Zudem haben sich die Technologien soweit verändert, dass man kaum mehr Vertrauen aufbauen kann. Kontrolle ist nicht mehr möglich.
Wenn man mit einem künftigen Hauen und Stechen in den internationalen Beziehungen rechnen muss, wie kann man sich wappnen? Zwei Ansätze kennt man auch aus der Schweizer Geschichte:
  •     Allianzen und
  •     Schwerpunktsbildung.
Allianzen in der Form von bilateralen Verträgen sind ein Schweizer Dauerthema. Durch die Krise und deren Behebung kann es aber durchaus sein, dass es hier zu einem Durchbruch kommt. Mit einem schwachen Partner zu koalieren ist natürlich nicht sehr appetitlich, doch muss man damit Vorlieb nehmen und versuchen, den Partner zu stützen. Es sind unsere wichtigsten Handelspartner, quand même.

Die Bildung von Schwerpunkte ist in normalen Zeiten nicht besonders beliebt, weil sie dem Grundsatz der Gleichbehandlung zuwider läuft. Doch erwarten wir normale Zeiten?
In den Zeitungen wird gerne auf Legionen von "Hidden Champions" verwiesen (siehe Abb.~\ref{fig:export}). Es ist aber nicht klar, ob man damit technische Exzellenz oder auch wirtschaftliche meint. Dem beiläufigen Auslandaufenthalter treten vor alle Lifte von Schindler, Bahnen von Habegger und Spülungen von Geberit entgegen. Bekanntlich sind es aber vor allem Biotechnologie, Chemie und Pharma etc. Schwerpunktbildung bedarf der genauen Lagebeurteilung.
Abb. 2:Verlauf der wichtigsten Exportgüter (Quelle: BfS)

Industriepolitik

Das Wort "Industriepolitik" ist in der Schweiz aus unerfindlichen Gründen ein Tabu. Diese sind jetzt zu überwinden. Irgendwann muss man Ross und Reiter benennen. Nur den Garten der Rahmenbedingungen à la Pangloss zu bestellen reicht nicht.
Der Bundesrat liess am 19.11.2019 folgendes verlauten:
Der weltweite Bedarf an Infrastrukturinvestitionen wird bis ins Jahr 2040 auf bis zu 90 Billionen US-Dollar geschätzt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung versprechen ausländische Infrastrukturgrossprojekte auch Chancen für Schweizer Firmen in Bereichen wie Schienenfahrzeuge, Energie, Umwelttechnik oder Infrastrukturbetrieb sowie für Finanzdienstleister. Dabei positionieren sich die meisten Schweizer Firmen in der Regel als Zulieferer von international tätigen Generalunternehmen.
Bis Ende 2020 wird der Bundesrat entscheiden, ob neben der Errichtung einer Koordinationsstelle weitergehende Massnahmen notwendig sind.
Aber man könnte argwöhnen, es handle sich um mehr vom Gleichen und vom Alten. Zudem ist der Erfolg in der Post-Corona-Welt eher zweifelhaft.

Ist dies nun die oben verlangte Schwerpunktbildung? Bei Schienenfahrzeugen und Energie kommen einem sogleich die entsprechenden Namen in den Sinn. Diese zwei Firmen beschäftigen in der Schweiz direkt rund 6000 Angestellte.

Industriepolitik in Zeiten von Post-Corona sollte vor allem die Spitzenunternehmen mit langfristigem Potential mit viel implizitem, d.h. auch nicht einfach kopierbarem, Wissen fördern. Eine informelle Mitwirkung an der deutschen Wasserstoff-Initiative wäre ein lohnenswerter Ansatz.

Schlussfolgerungen

Wir gehen von der Neuordnung der weltwirtschaftlichen und geopolitischen Lage aus, die mit den Verheerungen der Pandemie dazu führt, dass sich auch die Schweiz neu positionieren muss. Der Bund wird ein dezidiertes Management ihrer neuen und alten Verpflichtungen aufbauen müssen, das sich auch auf die Exportförderung auswirkt.

Das Management der Contingetn Liabilities wird sich neu begründen müssen und in den Wettstreit mit anderen gemeinwirtschaftlichen Aufgaben eintreten. Aus dieser Perspektive scheint es uns ratsam, viel stärker in die Breite zu gehen und sich für eine baldige Unterstützung einer schwerpunktsmässigen Industriepolitik glaubhaft zu empfehlen.
Es ist wichtig, dass man das Spiel versteht. Wenn man mit den Golfschlägern auf dem Tennis-Court erscheint, hat man schlechte Karten.

Die hier vorgestellten Argumente mögen etwas plakativ erscheinen, aber sie sollen durch ihre Dringlichkeit motivieren. Anders wäre Carthago auch nicht zerstört worden.

Referenzen

Brose, C. (2020). The kill chain : defending America in the future of high-tech warfare. Hachette Books, New York.
Economist (2018). The chinese century is well under way. Economist. https://www.economist.com/graphic-detail/2018/10/27/ the-chinese-century-is-well-under-way.
Freedman, L. (2013). Strategy : a history. Oxford University Press, Oxford New York.
HM Treasury (2020). Government as insurer of last resort: managing contingent liabilities in the public sector. Publication, UK Government, London. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/871660/06022020_ Government_as_Insurer_of_Last_Resort_report__Final_clean_.pdf. IMF (2017). How to Strengthen the Management of Government Guarantees. How to notes, International Monetary Fund. https://www.imf.org/en/Publications/ Fiscal-Affairs-Department-How-To-Notes/Issues/2017/10/19/ How-to-Strengthen-the-Management-of-Government-Guarantees-45201.
Kagan, R. (2003). Of Paradise and Power : America and Europe in the new World Order. Vintage Books, New York.
The Wall Street Journal (2020), "China’s ‘Wolf Warrior’ Diplomats Are Ready to Fight", May 19, 2020.
The Washington Post (2020) "Think we have military primacy over China? Think again", May 13, 2020

1 Kommentar:

  1. Sehr spannende Auslege- und Einordnung. Die Einschätzung von Christian Brose würde ich als Absicht und angestrebter Entwicklungsschritt einschätzen. Realität ist sie jedenfalls noch nicht. Weit gefährlicher sind die Entwicklungen im Bereich electronic warfare.

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