Freitag, 15. April 2016

Thomas von Aquin und Finite State Machines


Die Kombination von Thomas von Aquin (1224 -- 1274), einem Giganten der Scholastik, der in vielen Bereichen des Lebens auch heute noch nachwirkt, und "Finite State Machines" ist ja sehr wunderlich. Das mächtige Bindeglied ist das abstrakte Modell. Das hat Hayes (1983) ausgezeichnet dargestellt.
Finite State Machines, oder auch endliche Automaten, sind Rechenmodell für Hard- und Software. Ihr Charakteristikum ist die beschränkte Anzahl von Zuständen, die der Automat oder das Modell davon gleichzeitig annehmen kann. Endliche Automaten sind eine etwas einfachere Unterart der sogenannten Turing-Maschinen. Typische Vertreter bilden Transducer, die auf eine Inputsequenz mit einer Outputsequenz antworten oder Classifier, die auf eine Inputsequenz mit einem Zustand antworten. Typische Transducer sind Ribosomen, die gemäß gelesener RNS Protein synthetisieren und als solche abgebildet werden können.
Ein mechanisches Beispiel ist ein Bezahlgatter in der Badeanstalt. Wirft man eine Münze ein, so wird das Gatter entsperrt, tritt man durch, dreht sich das Drehgatter und ist erneut gesperrt. Zur Darstellung und zum Entwurf solcher Mechanismen hat sich eine spezifische Darstellung eingebürgert. Zustände sind eingekreiste Adjektive, Zustandsänderungen sind Pfeile, die Tätigkeiten darstellen, also Verben. Abbildung 1 zeigt das Drehgatter. Zusätzlich sieht man, dass sich der Zustand durch Drücken nicht ändert, wenn der Zustand "zu" ist. Dieser Automat ist nicht besonder fair, denn obwohl offen, schluckt er weitere Münzen.
Abbildung 1: Drehgatter

Thomas von Aquin gilt auch heute noch als der katholische Philosph, obwohl zu seiner Zeit die Philosophie als Anhängsel der Theologie verstanden wurde. Sein geistiger Vorfahre, Augustinus von Hippo, war Platoniker; Thomas hat in der Renaissance Aristoteles und seine Ideen der Erfahrung mit eigenen Beiträgen synthetisiert und angereichert. Seine Hauptbeiträge sind die summa contra gentiles und die summa theologica. In ersterer findet man Angaben zur Hölle usw. Darin verwirft er die Apokatastasis, d.h. die Wiederherstellung aller Dinge am Ende der Zeiten, also der Erlösung für alle. Es gibt also ewig Verdammte.



Abbildung 2: Zustandsdiagamm des katholischen Seelenheils (alt)

Die Abbildung 2 zeigt das Zustandsdiagramm eines Katholiken, wie es gemäß Thomas' Theologie gilt. Mit der Geburt tritt man in den Zustand der Erbsünde ein; so wurde es von Augustinus von Hippo postuliert und durch Synoden verfestigt. Durch Taufe kann man in den angestrebten Zustand der Gnade Gottes übertreten. Früher, eingedenk der hohen Säuglingssterblichkeit, wurde dieses Sakrament so schnell wie möglich gespendet. Verstirbt das Kind ohne Taufe, so gelangt es in den Limbus (limbus infantium), auch Abrahams Schoss oder Vorhölle genannt. Aber auch verdiente Personen, die vor Christus lebten, gelangen in den limbus patrum. Zur Zeit des Aquinaten war nur die Theologie zentral, alles andere Nebensächlich, sogar die Philosophie galt als Magd der Theologie. Deshalb stritt man sich lange und tiefgründig über die Erbsünde und die Vorhölle. Deren Beschreibung reichte von angenehm und friedlich bis zu unangenehm und qualvoll. Thomas beschreibt sie als Ort ewiger natürlicher GlückseligkeitDa die Vorhölle nicht biblisch verankert ist, konnte sie Benedikt XVI nach Jahrhunderten im Jahr 2009 aufheben. Neu gilt also, dass der Weg über Geburt und Tod direkt in den Himmel führt.

Hauptziel eines Christenmenschen zur Zeit von Thomas von Aquin ist es, in der Gnade Gottes zu bleiben oder darin zurückzukehren. Durch Sünde wird dieser Zustand verlassen. Je nach Schwere der Sünde wird nach lässlichen und mortalen Sünden unterschieden. Verstirbt man in den jeweiligen Zuständen, so gelangt man entweder in die Hölle oder ins Fegefeuer. 

Das individuelle und vollständige Bekenntnis mit der Absolution bleibt das einzige ordentliche Mittel, durch das sich die Gläubigen wieder mit Gott und mit der Kirche versöhnen.
Das Konzil von Trient hat feierlich erklärt, dass vom Pönitenten [Büßer] für die Erlangung der vollen und vollkommenen Vergebung der Sünden drei Akte als Teile des Sakraments gefordert werden: die Reue, das Bekenntnis [der Sünden] und die Genugtuung. Dasselbe Konzil hat auch erklärt, dass die vom Priester erteilte Absolution ein Akt richterlicher Natur ist und es nach göttlichem Recht notwendig ist, dem Priester nicht nur alle Todsünden einzeln zu beichten, sondern auch die Umstände, welche die Art der Sünden verändern, an die sich der Pönitent nach eingehender Gewissenserforschung erinnern kann.
Eine Todsünde wird dann begangen, wenn der Mensch bewusst und absichtlich ein wichtiges Gesetz Gottes übertritt. Der Sünder muss wissen, dass er der Versuchung widerstehen könnte und sich dann willentlich für das Böse entscheiden. Als die sieben Tod- bzw. Hauptsünden bezeichnet die katholische Kirche gegenwärtig: 
1. Stolz, 2. Neid, 3. Zorn, 4. Trägheit, 5. Habgier, 6. Völlerei, 7. Unkeuschheit. Es ist der Priester, der ermessen muss, ob eine Todsünde vorliegt.  

Die Genugtuung oder Sühne muss der Sünder durch Wiedergutmachung oder Werke der Nächstenliebe oder im Fegefeuer (Purgatorium) als Reinigungsanstalt leisten. In diesem Punkt stimmt die Abbildung 2 nicht ganz, denn es gibt den Stand der Gnade pur und die wiedererlangte Gnade durch Lossprechung. Im zweiten Fall führt der Weg allenfalls durch das Purgatorium zum Himmel. Mittels Ablass kann die Verminderung der zeitlichen Sündenstrafen erreicht werden.

Am Ende der Zeit, wird Christus herabsteigen, um die Lebenden und die Toten zu richten, wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt. Die Lebenden sind entweder im Stand der Gnade, der lässlichen oder mortalen Sünde oder mit der Erbsünde belastet. Die Toten sind in der Vorhölle, im Fegefeuer oder in der Hölle. Nach dem Schema gibt es eigentlich nichts zu richten, denn es ist alles schon gegeben. Allerdings gibt es da die Frage nach der Prädestination oder Vorherbestimmung, die kontrovers ist.  Im katholischen Katechismus heißt es:
Niemand wird von Gott dazu vorherbestimmt, in die Hölle zu kommen; nur eine freiwillige Abkehr von Gott (eine Todsünde), in der man bis zum Ende verharrt, führt dazu.
Die Gegenposition ist die doppelte Prädestination, wonach schon durch göttlichen Ratschluss bestimmt wird, wer in die Hölle und wer in den Himmel kommt, nämlich die Auserwählten. In dieser Frage unterscheiden sich die verschiedenen Konfessionen, wobei Lutheraner (aber nicht Luther) und Katholiken näher beieinander sind als die Reformierten (Zwingli, Calvin).

An diesem Schema lassen sich die ganz großen Fragen festmachen, wobei man erkennt, dass die Unterschiede im Laufe der Zeit nicht geringer geworden sind. Apropos, zum Lutherjubiläum 2017 soll es Socken zu kaufen geben, auf denen aufgedruckt ist: "Hier steh ich nun und kann nicht anders". Auch hier klingt das Geld im Kasten.


Literaturverzeichnis


Hayes, Brian (1983). Computer Recreations : On the finite-state machine, a minimal model of mousetraps, ribosomes and the human soul. Scientific American, 1983 (12), p. 19--28.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen