Sonntag, 20. März 2016

Zwei Milliarden pro Jahr! -- Investmentbanken und Kriminalisierung

Im Recht gilt der einleuchtende Grundsatz "Nullum crimen, nulla poena sine lege", es gibt keine Straftat und damit keine Bestrafung ohne Gesetz und dessen Übertretung. Davon konnte Albert H. Wiggin von der Chase National Bank, eine der einflussreichsten Banker der Zeit, und viele andere privat profitieren. In der Untersuchung der Pecora Commission zum Börsenkrach von 1929, die viel Publikumsinteresse hervorrief, wurde viele Praktiken zur Selbstbereicherung bekannt. Der Stellvertretende Staatsanwalt von New York County Ferdinand Pecora, aus einer sizilianischen Einwandererfamilie, setzte die Elite der Wall Street massiv unter Druck. Die Praktiken der Spitzenmanager umfasste:
  • Aktienspekulation, 
  • Insider-Handel, Leerverkäufe von Aktien der eigenen Bank,
  • Organdarlehen,
  • Nebentätigkeiten,
  • "preferred lists" bei Neuemissionen,
  •  überhöhte Gehälter und Boni sowie
  •  ungerechtfertigte Pensionszahlungen.
Die Leerverkäufe in der Panik von 1929 sind ein dreistes Stück. Die Familiengesellschaft von Wiggin verkaufte massenweise Aktien der Chase National Bank leer, während deren Tradingabteilungen mit Stützkäufen versuchten den Kurs kurzfristig hoch zu halten, und zwar finanziert durch Darlehen der eigenen Bank. Es resultierte eine Gewinn in heutigen Einheiten von rund 140 Mio. USD, davon 55 in nur zwei Monaten.  Wiggin hielt 59 Aufsichtsratssitze, von denen er überschlagsmäßig 3.5 Mio heutige USD kassierte. Die "preferred list" umfasste rund 500 Personen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Bei diesen Personen platzierte J.P.Morgan, der sich zu fein für den Aktienhandel hielt, regelmäßig Aktien, die sich aus dem Umbau der Konglomerate ergab. Beispielsweise gab J.P.Morgan Alleghany-Aktien zu 20 USD ab, als auf dem grauen Markt sie schon zu 37 USD gehandelt wurden. Die Pension von Wiggin ohne Gegenleistung wäre über 1 Mio. USD gewesen. Aber auch für die Bank machte man zweifelhafte Deals: einem Unternehmen wurde eine Emission aufgedrückt, um den Bankkredit damit abzulösen. Man sehe Pecora (1948) für weitere Einzelheiten.

Diese Missbräuche wurden gegen den Widerstand der Wall Street in den Gesetzen als Straftaten kodifiziert oder zumindest durch erhöhe Transparenzanforderungen eingedämmt. Für die prominenten Banker resultierte ein erheblicher Reputationsschaden und Verbitterung. Wie man der Untersuchung entnehmen kann, sind schon um 1930 dieselben Methoden zu beklagen, die immer wiederkehren.

Die Kriminalisierung geht systematisch mit der Deregulierung einher. Seit 1980 hat sie Einzug gehalten. Die erste Welle geht auf die Deregulierung der Sparkassen (Savings and Loans) zurück. Die Höhe der Zinsen für Spareinlage wurde für Sparkassen liberalisiert, so dass diese mit den Banken zu konkurrieren begannen. Um den Kreditboom zu finanzieren -- massiven Expansion in die Immobilien- und Unternehmensfinanzierungen mit Junk-Bonds sowie der Verbriefung von Hypothekarkrediten --, überboten sich die Kassen mit Sparzinsen, denn die Einlagen waren ja bis 100,000 USD vom Staat garantiert. Zusätzlich nahmen die Kassen kurzfristige Gelder auf, um langfristige Projekte zu finanzieren. Anlagevermittler stückelten große Vermögen, um sie in 100,000er Paketen zu großzügigen Zinsen anzulegen. Zur Bekämpfung der Inflation stiegen die kurzfristigen Zinsen rapide, so dass die Fristentransformation zuungunsten der Sparkassen drehte. Fast alle Sparkassen rutschten tiefer in die Verlustzone, doch die Aufsicht senkte die ohnehin lockeren Kapitalvorschriften weiter und ließ die insolventen Sparkassen weiterfahren. Anfänglich versuchte die Einlagensicherung die Institute zu stützen, doch dann musste sie das Handtuch werfen. Es kam zu einer Serie von Bankrotten; den Staat hat die Übung rund 160 Mrd. USD gekostet. Bald wurde erkennbar, dass viele Geschäftspraktiken kriminell waren: Betrug, Insider-Handel und ungetreue Geschäftsführung. Viele Bankmanager wurden angeklagt und einige, rund tausend, wanderten ins Kittchen. Prominentester Krimineller war Charles Keating, der sich eine Sparkasse aneignete, um mit deren Geld zu spekulieren und Politiker zu bestechen.

Zur gleichen Zeit boomten die Leveraged-Buyouts, denn zur Finanzierung der Käufe diente die neue Asset-Klasse der Junk-Bonds, Obligationen sehr schlechter Qualität, für die ein Markt entstand. Personen, die an solchen Deals arbeiten, verfügen über lukratives Insiderwissen. Bekannteste Betrüger sind Michael Milken und Ivan Boesky.

Erst die Internet-Blase verhalf der kriminelle Energie der Investmentbanken zum Durchbruch. Bis hierhin blieben sie verschont. Der blinde Glaube an die Möglichkeiten der Internet-Firmen gepaart mit den Drückerkolonnen der Retail-Broker und dem Aufstieg der Analysten zu "Rainmakers" ermöglichte die Betrügereien. Berüchtigt sind Mary Meeker von Morgan Stanley Dean Witter, Jack Grubman von Salomon Smith Barney und Henry Blodget von Merrill Lynch, um nur die bekanntesten zu zitieren. Sie machten postitve Empfehlungen, obwohl sie wussten, dass die Aktien nichts wert waren.

Der Staatsanwalt Eliot Spitzer, der selber ein unrühmliches Ende nahm, verklagte mehrere Banken wegen des künstlichen Aufblasens von Aktienpreisen, Missbrauch von verbundenen Maklerunternehmen für falsche Investmentberatung und Verkauf von neuen Aktien bei Börsengängen an bevorzugte Personen, meist Geschäftsführer und Verwaltungsräte. Im 2002 handelte Spitzer mit den Investmentbanken und Maklern, der Börse und den Regulierungsbehörden eine Vereinbarung aus. Diese beinhaltete:
  • die Trennung von Aktien-Research vom Investmentbanking, d.h. vom Underwriting,
  • ein Verbot der Bevorzugung bei Börsengängen,
  • die Verpflichtung, unabhängige Research-Analysen zu produzieren,
  • Offenlegung der Interessen bei Empfehlungen durch Analysten und
  • substanitielle Sanktionszahlungen. 
Die ganze Busse betrug rund 1.4 Mrd. USD, aus heutiger Sicht ein Klacks.

Die Finanzkrise von 2008 und die folgend Jahren sind hinsichtlich der Klagen und Gerichtsurteile ziemlich unübersichtlich. Grund dafür sind die langen Verhandlungsdauern von der Untersuchung bis zur Anklage oder Einigung. Die Sub-Prime-Krise ist acht Jahre nach deren Ausbruch noch nicht vollständig aufgearbeitet. Die wichtigsten Tatbestände, die Banken im allgemeinen, und nicht Investmentbanken im speziellen, betreffen, sind die folgenden (Zahlen sind in Mrd. USD):
  • Sub-Prime Mortgage backed securities (Morgan Stanley 1.3, Bank of America 11.6, JP Morgan 13),
  • Zwangsversteigerungen (25 Mrd USD),
  • Währungsmanipulation (Citigroup, JPMorgan Chase, Barclays, RBS, total 5.6), 
  • Zinsmanipulation (UBS 1.5, Rabobank 1, ?),
  • Goldpreismanipulation (UBS, RBS, ?),
  • Sanktionsumgehung (Commerzbank, BNP 9),
  • Beihilfe zur Steuerhinterziehung (UBS, Credit Suisse 2.6),
  • Geldwäscherei (HSBC 1.9),
  • Unterlassene Anzeige (JP Morgans im Fall Madoff ?),
  • Emissionshandel,
  • London Whale (JP Morgan 0.9), 
  • Dark Pools (Credit Suisse, Barclays ?).
Die in den letzten Jahren bezahlten Bussen sind enorm. Was aber dennoch auffällt, ist die Tatsache, dass keine einzige Person für die obigen Verfehlungen erfolgreich verurteilt wurde, ja es gibt fast keine Anklagen gegen Manager und Spitzenbanker. In den USA können allerdings auch juristische Personen kriminell sein. Als Begründung wird immer wieder ins Feld geführt, dass die Banken so komplex sind und die Abläufe so verflochten sind, dass es unmöglich ist, der schuldigen Personen habhaft zu werden. Die Strafverfolger scheinen aber auch ihren Eifer nicht in diese Richtung gelenkt zu haben. Einige Straftatbestände haben kurze Verjährungsfristen, so dass man sich auch über die Runden retten kann. Die Information nach oben wird auch immer dünner, so dass die Spitzenleute einen systematischen Schutz erhalten. Deshalb haben die Banken häufig die Sanktionen ohne Schuldbekenntnis bezahlt; ein paar wenige haben sich schuldig bekannt, oder bekennen müssen, und gelten deshalb als kriminell.

Es gibt verschiedene Theorien, wieso Menschen kriminell werden. Die einen gehen von geborenen Kriminellen aus (Lombroso, 1876), andere sehen die kriminelle Veranlagung durch Normen, sozialen Druck oder durch Erziehung eingedämmt (Reckless, 1961; Hirschi, 1969) . In einer Gesellschaft, in denen die Zwecke (Pursuit of happiness, Reichtum) so prominent anerkannt werden, schaut man weniger auf die Mittel.  Lipset (1996, 47) argumentiert:
The stress on equality and achievement in American society has meant that Americans are much more likely to be concerned with the achievement of approved  ends than with the use of appropriate  means. In a country that values success above all, people are led to feel that the most important thing is to win the game, irrespective of the methods employed in doing so.
Verblüffend ist die Tatsache, dass ein Viertel aller Inhaftierter weltweit in den USA einsitzt!

Ethisches Verhalten und Moral über Verträge oder Richtlinien einzuverlangen, ist doch ziemlich naiv, entspricht allerdings einer stark durch das Recht geprägten Gesellschaft. Wohlverhalten zu kodifizieren führt schnell dazu, alles was nicht explizit verboten ist, als erlaubt zu betrachten.

Das Pikante an diesen Strafzahlungen ist, dass es hauptsächlich den Aktionär und die Gemeinschaft als Steuerbegünstigte trifft. Vielfach ging man davon aus, dass die Kriminalität eine "Privileg" der Banken sei; seit des Abgasskandals um den Volkswagen-Konzern ist man eines besseren belehrt. Dass sich deutsche Ingenieurskunst dafür hat hergeben lassen, ist eine herbe Enttäuschung. ebenfalls sehr anfällig sind natürlich die Pharma-Unternehmungen und die Rohstoffproduzenten.

Neben den Strafzahlungen kommen aber auch Kosten für Rechtsfälle, Schiedsgerichte und gütliche Vereinbarungen auf die Banken zu. Laut der Ratingagentur Moody’s haben die 15 größten Investmentbanken zwischen 2008 und 2014 rund 219 Milliarden USD für Rechtsstreitigkeiten aufgewendet. Das entspricht 2 Mrd. USD pro Jahr pro Institut! Seit 2012 musste die Deutsche Bank Strafen über 11.2 Mrd. EUR zahlen. Sie hat weitere 4,8 Milliarden Euro dafür zurückgestellt. Große Banken habe bis über Tausend schwebende Rechtsgeschäfte.

Während die Regulatoren am liebsten die Kultur der Banken bewerten und steuern möchten, sind die Strafzahlungen für die Institute ein ordentlicher Budgetposten geworden. Die Anzahl inhaftierter Banker geht gegen Null, wogegen die Strafzahlungen ins astronomische gestiegen sind. Ein weiterer Sieg der Banker über die Besitzer.


Literatur

Hirschi, T. (1969). Causes of Delinquency. University of California Press, Berkeley, 3.Auflage.

Lipset, S. M. (1996). American Exceptionalism: A Double-Edged Sword. W.W.Norton, New York.

Lombroso, C. (1876). L’Uomo Delinquente. Hoepli, Milano.

Pecora, F. (1973). Wall Street Under Oath: The Story of Our Modern Money Changers. A.M. Kelley, Clifton

Reckless, W. C. (1961). The Crime Problem. Appleton-Century-Crofts, New York, 3. Auflage.

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