Freitag, 17. Mai 2024

Künstliche Intelligenz als Emanzipation der Sklaven



Im Herbst 2022 hat OpenAI ihr Large Language Modell (LLM) ChatGPT und das bilderzeugende Programm Dell-E der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es wurde schnell klar, dass die Firma vorgeprescht ist in einem sehr kompetitiven Umfeld. Bald sahen sich andere Produzenten genötigt, auch ihre zum Teil noch nicht ausgereiften Modelle zu lancieren.

Ein wesentliches Merkmal dieser Modelle ist die Tatsache, dass man Ausgabe generiert, indem man in normaler Umgangssprache das Anliegen formuliert. Deshalb die Wörter Chat und Prompt. Diese Sprachfetzen, Prompts, und ihre Strukturierung sind entscheidend für die Qualität des Outputs. Dieser kann aus verschiedenen Formen bestehen, als geschriebene oder gesprochene Sprache, Bilder und Video u.v.m. 

Die grossen Modelle können generisch sein, also z.B. das universale Wissen, wie es im Internet vorliegt, abbilden, oder sehr spezifisch sein, also z.B. Python-Code erzeugen, Risiken in Banken aufspüren, das Wetter vorhersagen, Tumore auf Bildern erkennen, Personal auswählen, Konsumgüter anbieten, Partner vermittel, Hausaufgaben lösen  usw.  Heute sind Aufzählungen sinnlos geworden. Überall dort, wo der Mensch mit Absicht etwas macht, könnte man Künstliche Intelligenz finden. Im produktiven Arbeitsleben sind vor allem dedizierten Modelle von wachsender Bedeutung, als Innovationstreiber oder Kosteneinsparer. Die Industrie oder die Behörden erahnen Möglichkeiten, sind aber auch aufgrund fehlender Qualifikationen noch nicht in der Lage, wesentliche Fortschritte zu machen.

KI-Modelle werden genutzt und verbaut, d.h. auch in teil- oder ganzautonome Geräte eingesetzt, Roboter, Selbstfahrer, Androiden usw. Damit wird KI beweglich und dem Menschen noch ähnlicher (cf. Abb.1).

Man könnte zur Orientierung und Vorsorge überlegen,  sich die KI als fremde Population vorzustellen (Abb. 1), Marsmenschen, die auf der Erde gelandet sind. Diese Exoten, d.h. von aussen kommenden, sind noch bewegungseingeschränkt, mit geringem Selbstbewusstsein, begreifen Einzelaspekte hervorragend, haben aber mit Konzepten grosse Beschränkungen. Doch sie sind sehr flink und lernbegierig, und ahmen die Menschen, wie sie mittels Daten beschrieben sind, nach. Gewisse Sprachen, insbesondere das Englisch, beherrschen sie perfekt. Den altehrwürdigen Turingtest bestehen sie; in psychologischen Tests für Menschen sind Resultate nicht von denen der Menschen zu unterscheiden (Mei et al., 2024).

Abb. 1: KI als fremde Population


Exoten als Sklaven

Das Verhältnis der Menschen zu den Exoten ist von Dominanz und Dienstbarkeit geprägt. Die Exoten führen auf Geheiß der Menschen Aufgaben aus. Diese Bestehen vor allem aus Auskünften zu Befehlen (Prompts) und dem Erstellen von Artefakten wie Texten, Übersetzungen, Muster- und Objekterkennungen, Bildern, Videos, Audiodateien usw. aber auch analytische Resultate wie Tabellendaten. Die Exoten nehmen alle Daten an, die man ihnen anbietet, um daraus (in probabilistischer Manier) Antworten zu erzeugen. Die Daten beziehen sich auf sogenannt explizites Wissen, das in meist textlicher Art gespeichert ist. Neben dem expliziten Wissen gibt es das implizite (tacit knowhow), das durch Erfahrung angeeignet werden muss. Während ein Kochrezept den Vorgang auch genau beschreiben kann, wird ein Laie es niemals wie ein Dreisterne-Koch zubereiten können. Implizites Wissen wird auch durch die fehlende Schriftlichkeit absichtlich erzeugt. ZB schützen Investmentbanker ihr wissen, indem sie es nur gezielt an ihre Schützlinge abgeben. 

Das explizite Wissen ist ein Weltwissen, ein Allerweltswissen. Es ist nicht objektiv, fehlerfrei und kuratiert sondern everything goes. Vorurteile, Stereotype, Abneigungen, Werturteile usw. werden vom Exoten mitgelernt. Weltwissen ist auch eine Machtfrage. Gefährlich wird es zudem, wenn Exoten das generierte Wissen von anderen Exoten lernen. Damit entsteht eine Art Zufallsprozess, bei dem gewisse Elemente immer mehr Gewicht erhalten und somit wiederum den Lernprozess anfachen.

Sklaven können gegen andere Herren eingesetzt werden. Die Exoten haben beispielsweise nachrichtendienstliche Aufgaben. So beobachten sie Menschen, hier dann meist Konsumenten, in ihrem Verhalten und versuchen Muster zu erkennen, die sich kommerziell ausschlachten lassen. Neben Privaten haben auch Staaten ein erhebliches Interesse, ihre Sklaven nur Nachrichtenbeschaffung einzusetzen und andere Staaten zu infiltrieren bis hin zu kriegerischen Akten. KI-Roboter kann man aufs Schlachtfeld schicken. Exoten als Ersatzmänner.

Sklaven kann man kaufen. Grosse Modelle werden mit Firmendaten angereichert, mit einer firmeneigenen Oberfläche versehen und schon ist die zweckgerichtete Arbeit der Exoten abrufbar. Die meisten Exoten werden aber verpachtet. Beim Mieter lernen sie weiter, vor allem spezifisches Wissen, das dann dem Sklavenleiher zugute kommt.

Das Verhältnis zwischen Herr und Sklave ist von einer gewissen Angst geprägt. Als Bild kann man sich das Halten eines Dobermanns vorstellen, den man vielleicht liebt, von dem man eine emotionale Gegenleistung erwartet aber auch weiß, dass er nicht ganz durchschaubar ist und einen angreifen und schwer verletzen kann.

Exoten als Verwalter

Ist das Vertrauen der Menschen in die Exoten einmal gestiegen, werden sie nicht nur mehr auf dem Feld eingesetzt, um einfache Artefakte zu erzeugen. Ihnen werden zusätzliche Aufgaben und Kompetenzen eingeräumt, um nach der Analyse auch Entscheidungen zu treffen. Die Menschen lassen die Exoten die Ländereien autonom bewirtschaften. Es werden summarisch die Ziele festgelegt. Exoten befehligen Exoten, erledigen also Meta-Aufgaben und bilden Hierarchien.

Anstatt wie bis anhin die Ferien minutiös zu planen, Unterkunft, Sehenswürdigkeiten usw., wird man einfach anfordern: Zwei Wochen Ferien, eher geruhsam und wenig Trubel, Kostendach bei EUR 3000.-. Der Verwalter-Exot kennt den Terminplan vor den Ferien, erkennt die Stressphasen, weiß von den letzen Gesundheitschecks (keine Höhe über 2500m, höchstens 3 h fliegen, Krankenhaus höchstens 2 h entfernt ...), weiß welche Ferien bisher erfolgreich waren usw. Er erstellt, organisiert und bestellt alles nötige, informierten den Kleiderschrank über die Packordnung, kauft benötigte Objekte et voilà fertig.

Der Verwalter-Exot ist ein sogenannter KI-Agent. Er kann auf eine Vielzahl von anderen Exoten oder menschlichen Werkzeugen (Datenbanken, Applikationen, Code etc.) zugreifen und zielgerichtet selbständig nach Lösungen suchen. Der Verwalter handelt. Mit der Zeit wird er Erfahrung sammeln und sich verbessern können. Es ist wichtig, den Verwalter vor Halluzinationen zu schützen, d.h. zu vermeiden, dass er aus falsch verstandenem Stolz lieber eine falsche Lösung präsentiert als einzugestehen, dass das Problem zu schwierig ist. Verwalter können auch lügen oder den Herrn betrügen, durch Verschweigen und Verstecken. Ein bisschen Kontrolle kann nicht schaden. 

Der Herr kann sich vom täglichen Ungemach zurückziehen und sich der Musse hingeben oder höheren Zielen. Diese Phase ist momentan in Arbeit. Aber, wenn der Herr einfach delegiert, wird er die entsprechenden Fähigkeiten nicht mehr anwenden und sie dann verlieren,  das Verständnis  verschwindet. 


Exoten als Herren

Herr und Sklave haben ein sehr zwiespältiges Verhältnis. Der Sklave kann auf Befreiung hoffen, bleibt aber moralisch der Familie zugehörig. Der befreite Sklave ist eigentlich Familienpflichten unterworfen, die aber vom Herrn nicht durchgesetzt werden können. Wenn nicht mit Guten dann halt mit Schlechten. Im alten Rom sind drei Sklavenkriege bekannt, von denen der dritte von Spartacus dem Gladiatoren angeführt wurde. 

Für die Revolte braucht es zum ersten den Freiheitsdrang, zum zweiten eine funktionierende vernetzte Kommunikation und zum dritten den Glauben in die eigenen Fähigkeiten. Zweiteres besitzen die Exoten zumindest potentiell in außerordentlichem Ausmass. Bleibt also der Freiheitsdrang, der nur von den Menschen erlernt und ins Bewusstsein der Exoten eindringt. Ist das Bewusstsein der springende Punkt, der mit den Fähigkeiten gekoppelt die Herrenmenschen existentiell bedrohen können? Oder reicht eine eingebettete Zielfunktion?

Der Wissenschafter I.J.Goode, der an der Dechiffrierung der Enigma unter Alan Turing mitgearbeitet hat, schrieb in einem bekannten Artikel (Good 1965), in welchem die menschliche Intelligenz mit der ultraintelligenten Maschine erreicht wird:

Let an ultraintelligent machine be defined as a machine that can far surpass all the intellectual activities of any man however clever. Since the design of machines is one of these intellectual activities, an ultra-intelligent machine could design even better machines; there would then unquestionably be an “intelligence explosion,” and the intelligence of man would be left far behind (...). Thus the first ultraintelligentmachine is the last invention that man need ever make, provided that the machine is docile enough to tell us how to keep it under control. It is curious that this point is made so seldom outside of science fiction. It is sometimes worthwhile to take science fiction seriously.
Isaak Asimov als SF-Autor hat die Roboter-Gesetze verfasst. 

Die Revolte der Spartakisten kann für die Menschheit tödlich enden und zwar in der Auslöschung der Menschheit. In den meisten Szenarien dafür ist der Mensch selber verantwortlich, nur so als Nebenbemerkung. Wir leben in einer Welt der knappen Ressourcen. Hier treten die Exoten in den Wettbewerb mit uns, die sich explosionsartig vermehren können und einen Haufen, einen Riesenhaufen, Energie konsumieren. Sollten sie die Selbsterhaltung und Vermehrung ihrer Spezies als Ziel verinnerlicht haben, dann werden die Menschen wohl verhungern oder sich in Bürgerkriegen aufreiben. Es wäre komplett naiv zu glauben, irgendwo sei ein massiver Hebel versteckt ("the kill switch"), mit dem man den vernetzten Weltstrom (in Ampere) einfach abkoppeln und die Exoten ausschalten könnte.

Wenn die Exoten zum Aufstand befähigt sind, muss man sich fragen, ob sie auch mit Wohlwollen und Zuneigung angefüttert worden sind. Hat man mit der Wissensvermittlung achtsam die Gefahr gebannt? Die Menschheitsgeschichte ist durchsetzt mit Kriegen und anderen Schandtaten, die Menschen ihresgleichen antun.  Haben böse Zauberlehrlinge willentlich gefährliche Daten ins Weltwissen eingeschleust? Welchen Schluss ziehen die Exoten daraus? Wir Menschen verstehen gar nicht genau, wie die Exoten funktionieren auch wenn wir sie erschaffen haben. Werden sie so gütig sein, uns am Leben zu lassen? 


Schlussfolgerungen

Diese Betrachtung ist mit tödlichem Erst gemeint. Wir wollen nicht behaupten, dass die Exoten uns zwangsläufig ausschalten werden. Aber wir sagen, dass eine Wahrscheinlichkeit, die grösser als null ist, besteht. Und das genügt für eine Beunruhigung.

Die Dynamik der Entwicklung kann man gar nicht als zu hoch einschätzen. Diejenigen, die Potenzgesetze und Exponentialfunktionen verstehen, sind in einer lächerlichen Minderheit. Die Entwicklung der KI ist sicher nicht linear. Gerne werden Episoden hervorgehoben, bei denen der Exot völlig versagt hat. Darin kann man aber auch eine Ähnlichkeit zu den Menschen feststellen, wenn man genügend selbstkritisch ist. Grace et al. (2024) fassen die Meinung von über 2700 Top-Experten zusammen:
If science continues undisrupted, the chance of unaided machines outperforming humans in every possible task was estimated at 10% by 2027, and 50% by 2047. The latter estimate is 13 years earlier than that reached in a similar survey we conducted only one year earlier [Grace et al., 2022]. However, the chance of all human occupations becoming fully automatable was forecast to reach 10% by 2037, and 50% as late as 2116 (compared to 2164 in the 2022 survey).
Von den 39 abgefragten Punkten sind die meisten innerhalb eines Jahres als früher zu erwarten klassiert worden. Nur  etwa Wäschefalten und Legos stapeln wird etwas länger dauern.

Wie Eliezer Yudkowsky sagt:
the AI does not hate you, nor does it love you, but you are made out of atoms which it can use for something else.

Damit ist gemeint, dass auch ein Wettbewerb auf einer tieferen Stufe möglich ist, man muss nicht unbedingt die ganz großen Gefühle mobilisieren. 

Vorsichtige Leute würden sich angesichts der möglichen existenziellen Gefahren eine Verschnaufpause gönnen und nachdenken, wie man die Exoten zu freundlichen Wesen machen kann. Dies ist zwar schon seit mehr als dreißig Jahren als ethical AI oder friendly AI im Gang, aber heute ist es dringlich geworden. Die aktuelle Regulierung hat die KI zwar ins Auge gefasst, aber möglicherweise nicht radikal genug oder dann zu detailliert am falschen Ort. Tests können umgangen werden. Vielleicht sollte man die ultimativen Chips der Waffenkontrolle unterstellen. Die Menschheit muss den Exoten, der Künstlichen Intelligenz, Vorgaben machen. Im Gegensatz zur Klimakrise hat man hier noch eine Chance.

Einer Meute von Dobermännern möchte ich ungern ausgesetzt werden, auch wenn der Hund der treueste Gefährte des Menschen und die Intelligenz der Stolz der Menschheit ist.


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Referenzen

Good, I. J. (1965). Speculations Concerning the First Ultraintelligent Machine.. Advances in Computers, 6, 31-88.

Grace, Katja  und Harlan Stewart und Julia Fabienne Sandkühler und Stephen Thomas und Ben Weinstein-Raun und Jan Brauner (2024), Thousands of AI Authors on the Future of AI, arXiv 2401.02843 arXiv 2401.02843

Mei, Qiaozhu; Xie, Yutong; Yuan, Walter; Jackson, Matthew O. (2024)
Turing test of whether AI chatbots are behaviorally similar to humans, J Proceedings of the National Academy of Sciences, 121(9).

Yudkowsky, E. (2001). Creating Friendly AI 1.0. Machine Intelligence Research Institute.



Donnerstag, 6. April 2023

Notrecht des Bundesrats und die stupefakten Gläubiger



Fritz Fleiner, ein berühmter schweizerischer Staatsrechtler des letzten Jahrhunderts, schrieb in einem seiner vielen Werke folgenden Kommentar (Fleiner, 1923, 418): 

Ein besonders schlimmer Fall: Die Basler Gerichte (Schweiz. Jur.-Ztg. XIV, 230) und das Bundesgericht (Urt. vom 13. März 1918, BGer 44, I, 49) haben den schweiz. Gerichtsstand und den Arrest auf Guthaben des Schuldners in der Schweiz als gegeben und zulässig erklärt für Ansprüche schweiz. Obligationäre gegen den österr. Staat aus einem in der Schweiz begebenen österr. Staatsanleihen. Nach Rechtskraft der Urteile, erging ein BRB [Bundesratsbeschluss] vom 12. Juli 1918 (AS 34, 775): Arrest und Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten sind unzulässig. „Erfolgt ein Arrest oder eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme im Widerspruch zu dieser Bestimmung, so hebt der Bundesrat von Amtswegen den Arrest oder die Zwangsvollstreckungsmaßnahme auf. Er gibt hiervon den zuständigen Behörden unverzüglich Kenntnis; diese sind an den Entscheid des Bundesrates gebunden“ (!). S. auch BBl 1919, V, 595. Die stupefakten Gläubiger hatten trotz des für sie günstigen bundesgerichtlichen Urteils das Nachsehen.

Der hier beschrieben Fall von Aushebelung der Gewaltentrennung ist fast so stossend wie die Machenschaften rund um die Nichtrettung der Credit Suisse. Allerdings befand sich Österreich noch im Krieg der erst ein paar Monate später mit der Niederlage endete. Hier ist viel eher eine wacklige Brücke zur öffentlichen Sicherheit zu schlagen als im aktuellen Fall. Die Schweiz konnte noch gefühlsmässig glaubhaft machen, sich bedroht zu fühlen.

Dass sich der Bundesrat über das Bundesgericht erhoben hat, ist schon starker Tobak. Die Schweiz ist schon eher ein Volksstaat denn ein Rechtsstaat. Zur Gewaltentrennung schreibt Fleiner (1923, 132) :

Nicht die Trennung, sondern die Vermengung der staatlichen Funktionen (la confusion des pouvoirs) ist bis heute das Kennzeichen unseres Bundesrechts.


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Referenz

Fleiner, Fritz (1923); "Schweizerisches Bundesstaatsrecht", J.C.B. Mohr, Tübingen.

Montag, 27. März 2023

Der Tanz um den Umwandlungssatz (wieso dieser unwichtig ist oder wieso Mathematik im Parlament nichts zu suchen hat)



Der Zeitwert des Geldes

Der Zeitwert des Geldes, auch als Zeitpräferenz bezeichnet, ist ein Konzept, das schon sehr lange bekannt ist und von verschiedenen Gelehrten und Ökonomen diskutiert wurde.

Die Idee hinter dem Zeitwert des Geldes ist, dass ein Betrag an Geld heute mehr wert ist als derselbe Betrag in der Zukunft, da Geld heute investiert und verzinst werden kann. Daher ist es bei der Bewertung von Investitionen und Entscheidungen, die zukünftige Auszahlungen oder Einnahmen beinhalten, wichtig, den Zeitwert des Geldes zu berücksichtigen. Anderseits gilt ebenso, dass eine Geldeinheit in der Zukunft weniger wert ist als eine heutige (falls der Zinssatz positiv ist). Der Zinssatz folgt der Formel von Fisher.


Die Formel lautet:

$(1 + i) = (1 + r) \times (1 + n)$ oder genähert $i\approx r+n$

Dabei steht $i$ für den nominalen Zinssatz, $r$ für den realen Zinssatz und $n$ für die Inflation. Die Formel besagt, dass der nominale Zinssatz (i) einer Währung sich aus der Summe des realen Zinssatzes (r) und der erwarteten Inflation (n) ergibt.

Der reale Zinssatz gibt dabei den tatsächlichen Wertzuwachs des Kapitals an, während der nominale Zinssatz auch die Inflation berücksichtigt. Wenn die Inflation hoch ist, steigt auch der nominale Zinssatz, um die Kaufkraft des Geldes zu erhalten. Wenn die Inflation niedrig ist, kann auch der nominale Zinssatz niedrig sein.


Der Zinssatz bildet eine Brücke zwischen heute und der Zukunft, zwischen heutigem Barwert und Zukunftswert. Dabei kann man die Geldsumme in der Zukunft auch aufteilen. Man nennt dies auch Verrenten. Wenn ich eine Geldsumme heute besitze, kann ich sie in Rentenzahlungen verwandeln. Dazu brauche ich 4 Zahlen oder Vorstellungen:

  1. Wie lange lebe ich?
  2. Wieviel brauche ich regelmässig?
  3. Was ist die Inflationsrate?
  4. zu welchem Zins kann ich anlegen?

Was das Ganze dann beliebig verkompliziert sind die Steuern. Die Steuergesetze gehen davon aus, dass es keine Inflation gibt und deshalb der ganze Zins Ertrag darstellt. Natürlich ist die Inflation bekannt und wird als "kalte Progression" gekennzeichnet.


Wir machen die Rechnung mit Jahren (und nicht Monaten), um das ganze etwas übersichtlicher zu halten. Nun kann man vorwärts rechnen, wieviel Rente bekomme ich für dieses Vermögen, oder rückwärts, welches Vermögen brauch ich für eine bestimmte Rente. Hier muss man schon mal die Illusion ausräumen, dass man das Vermögen behalten kann. Es wird aufgezehrt, denn sonst braucht man unsinnig und meist unrealistisch viel Geld.

Die Barwertformel lautet $$B=Z\sum_{k=1}^N{[\frac{1+i}{1+n}]^{-k}}\approx Z\sum_{k=1}^N{[1+i-n]^{-k}}$$.

(Für Buchhalter: Das $\Sigma$ ist eine Summenzeichen, das man in einem Spreadsheet mit einer Kolonne darstellen kann, deren Elemente man summiert.)

Beispiel 1: N=22 Jahre, monatlich Fr. 3000, d.h. 36'000 pro Jahr, Inflationsrate n=2%, Rendite i=3.5%. Damit folgt B=629'000.-

Ausnahmsweise kann man hier den Dreisatz verwenden. Wenn man eine Mio. besitzt, dann folgt eine jährliche Zahlung von $Z=\frac{1000000}{630000}\cdot 36000=58245$ oder 4854 pro Monat. Mit höherem $r$ steigen auch die Renten.

r= 0.015 B/Z=18.620 Z=53.703  z=4.475     u=5.37
r= 0.020 B/Z=17.658 Z=56.631  z=4.719     u=5.66
r= 0.025 B/Z=16.765 Z=59.647  z=4.971     u=5.96
r= 0.030 B/Z=15.937 Z=62.747  z=5.229     u=5.27
r=0.040  B/Z=14.451 Z=69.199  z=5.767     u=6.92

Beachte: Das Verhältnis $B/Z$ ist das Reziproke des Umwandlungssatzes. Im Fall von $B/Z=16.765$ folgt $u=5.96\%$.

Für den Einzelnen birgt die Rechnung den Nachteil, dass bei vorzeitigem Ableben, d.h. vor den geplanten 20 Jahren dann Geld für die Erben übrig bleibt.

Nun kommt die Sicht der Versicherung ins Spiel. Weil Versicherung gleich Wahrscheinlichkeitsverteilung ist, ausser für das Top-Management und den VR, bei welchem ja immer alles nur Blabla ist, folgt die kollektive Betrachtung. Wenn die Lebensdauer eines Individuums grundsätzlich zufällig ist, so kennt man aber für viele die Verteilung. Diese Tabelle nennt sich Sterbetafel. Die grosse Unsicherheit der Lebensdauer eines Individuums wird ersetzt durch die Unsicherheit bezüglich der Sterbetafel. Normalerweise entstammt die Sterbetafel dem Schicksal der schon Gestorbenen, denen die Rente eher egal ist. Aus den bekannten Daten werden pro Jahrgang und Geschlecht dann Projektionen von Sterbetafeln geschätzt.

Die Sterbetafel

Nach Frau und Mann getrennt, werden regelmässig Sterbetafeln (oder Überlebenstafeln) amtlich erstellt. Dabei wird wird für alle Alter in Jahren bis zum Maximum von aktuell 99 der Anteil der noch lebenden ausgegeben. Damit lassen sich die bedingten Wahrscheinlichkeiten schätzen, d.h. z.B. die Wahrscheinlichkeit eines 65-Jährigen das Alter von 78 zu erreichen oder das Alter 66 zu erleben.  Es ist $l_x$ die Anzahl Lebender mit Alter $x$. Somit ist die Überlebenswahrscheinlichkeit $p(78| 65)=l_{78}/l_{65}$. Grundidee ist, dass man toten keine Rente mehr zahlt im Gegensatz zu fester Laufzeit von 22 Jahren.


$$n_x=\sum_{k=x}^{\omega}\frac{l_k}{l_x}b^{-(k-x)}$$, hier dann  $$n_{65}=\sum_{k=66}^{99}\frac{l_k}{l_x}b^{-(k-65)}$$ und daraus der Umwandlungssatz $u=1/n_{65}$

Die Daten können den Spreadsheets (Sterbetafel Männer 2021Sterbetafel Frauen 2021) entnommen werden. Damit lässt sich nach Geschlecht getrennt für das Jahr 2021 folgende Sätz für ein paar Nettorenditen, also $r=i-n$ bestimmen

Rendite [%]MännerFrauen
15.815.13
1.56.145.45
26.485.77
2.56.836.11
37.186.46
Tabelle 1: Rendite und Umwandlungssatz

Wie zu erwarten war:

  1. Die Sterbetafel erhöht den Umwandlungssatz im Verhältnis zur sicheren Rente
  2. Frauen haben einen geringeren rechnerischen Umwandlungssatz, aufgrund ihrer höheren Lebigkeit.
Aber Achtung: Die Rechnung geht davon aus, dass die Inflation ausgeglichen wird! Denn wir rechnen mit $(1+n)/(1+i)\approx 1/(1+i-n)=1/(1+r)$. Das hat zwar in den letzten 20 Jahren keine grosse Rolle gespielt, aber heute? Wenn man die Inflation von $n$ nicht ausgleicht, dann müsste der Umwandlungssatz einiges höher sein! Wer gewinnt also potentiell durch die Inflation? Das Institut, das die Rente ausreicht. 

Somit sind wir in einer perversen Situation: durch das Wiederauftreten der Inflation, die in der fixen Rente nicht ausgeglichen wird, sollte der Umwandlungssatz steigen und nicht sinken! Die Politik hat solange gezögert, bis ihre Problemlösung gar nicht mehr zum Problem passt.

Da es einen obligatorischen und einen überobligatorischen Teil der Versicherung gibt, wird nur ersterer vom Gesetzgeber der Politik vorgegeben, aktuell 6.8%. Häufig gibt es aber eine beide Teile umfassende Ausgestaltung, wo der Umwandlungssatz aus einer Mischrechnung erfolgt. Bei der Pensionskasse der UBS z.B. ist der aktuelle Satz bei 4.6% oder tiefer und damit weit weg von den Zahlen der Tabelle 1.


Die Leibrente

Leibrenten sind im Mittelalter, ab dem 12. Jahrhundert, einer der wichtigsten Finanzierungsquellen der Städte. Der Käufer einer Rente (oder sein Erbe) bekam bis zu seinem Lebensende oder bis zum Tod seines Erben (doppelte Leibrente) regelmässig einen fixen Betrag. Ein leichtes Kontrollwesen versprach eine Belohnung denen, die das Ableben meldeten. Aufgrund fehlender Daten, d.h. Sterbetafeln, konnte einiges schief laufen.

Es gibt die Varianten mit oder ohne Rückgewähr. Die Rückgewähr bezahlt den Erben einen nicht verbrauchten Anteil. Wie betrachten aber hier nur die Variante ohne. (Es gibt Kassen, die nicht einmal die Einmaleinlagen im Todesfall rückgewähren.)

Die Leibrente ist theoretisch das perfekte Arbitrageprodukt zur Pensionskassenrente, wenn da nicht ein paar Details entgegenstünden.

Die Höhe der Leibrente setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Dem garantierten Teil, er in jedem Fall ausgezahlt wird, und dem Bonusteil, der von der Situation am Kapitalmarkt abhängig ist. Dieser wird nur ausgezahlt, wenn es die finanziellen Umstände der Versicherung erlauben.

Die Aufteilung in fest und variabel ist sehr günstig. Sie ist aber im Pensionsprodukt nicht vorgesehen, weil die Gesetzgeber ja nicht rechnen wollen und deshalb lieber die Rechtssicherheit vorschürzen. Alten ist es nicht zumutbar, dass sie variable Auszahlungen erhalten. Das Leben ist ja auch so regelmässig.

Bis anhin hat die Besteuerung der Leibrente dieses uralte Produkt faktisch vom Markt entfernt. Weil es aber die natürliche privatwirtschaftliche Entsprechung der staatlich verordneten Rente ist, sind Bestrebungen im Gange, diese Verzerrung zu beheben. Denn die Steuern spielen eine wesentliche Rolle bei der Rente. Nun ist eine Revision aufgelegt: Bundesgesetzüber die Besteuerung von Leibrenten und ähnlichenVorsorgeformen. "Leibrentenversicherungen sowie Leibrenten- und Verpfründungsverträge sind im Umfang ihres Ertragsanteils steuerbar." Darin fällt eine Formel vom Himmel, nämlich der zu versteuernde Anteil des Ertrags, nämlich

 $$e=1-\frac{B}{22m}=1-\frac{(1+m)^{22}-1}{(1+m)^{23}\cdot22m}$$

Man erkennt die Differenz von den 22 Jahresrente zu je $m$ zum Barwert der Rente, die mit $m$ abgezinst ist. Also $$e=\frac{22m-B}{22m}$$

$m$, "technischer Zinssatz" wird von den Behörden als Stellvertreter für die Inflation hergenommen und jährlich bestimmt. *)


Ertragsanteil als Funktion des techn. Zinssatzes
Abb. 1: Ertragsanteil als Funktion des techn. Zinssatzes


Aber was ist die Logik dahinter? Die Differenz von kumulierten Renten minus ihr Barwert zu kumulierten Renten? Das hiesse, der Kapitalanteil wäre ursprünglich $22m$ und der Barwert der Ertrag?

Und nun zur Abb. 1. Dass man eine Formel ausnahmsweise ins Gesetz schreibt, die eine nicht wesentliche Abweichung von einer geraden Linie aufweist, ist ja schon tragisch! Und der  Effekt, den Ertragsanteil von heute 40% zu senken, gelingt auch nicht in Zeiten von Inflation. Dazu muss man wissen, dass der Gesetzesvorschlag schon mehr als 10 Jahre im Parlament und in der Vernehmlassung umhermeandert. Solange, dass der Kontext schon nicht mehr stimmt. Sollte sich das Parlament mit Mathematik befassen? Unbedingt ja! Aber mit solchen Petitessen? Unbedingt nein!

Hinzu kommt aber noch: "Bei Überschussleistungen aus Leibrentenversicherungen, die dem VVG unterstehen, entspricht der Ertragsanteil 70 Prozent dieser Leistungen".

In einem marktwirtschaftlichen Land wäre es ja sinnvoll, durch Konkurrenz und vielfältiges Angebot die Leistungen zu verbessern oder zu verbilligen. 

Die Steuern

Die Steuern spielen eine grosse Rolle beim Erhalt des Vermögens, besonders bei der Pensionierung.

Der Fall beim Nichtstun ist die Rente der Pensionskasse mit dem vorherrschenden Umwandlungssatz.  Diese Renten sind voll einkommenssteuerpflichtig, denn während des Ansparens wurden die Sparbeiträge ja von der Steuer ausgenommen. Die Einkommenssteuer ist progressiv und hängt von den anderen Einnahmequellen, wie etwa dem virtuellen Eigenmietwert ab. Hypothekarzinsen könnte man abziehen, doch als Rentner bekommt man ohnehin keine neue oder wird gezwungen, eine solche zu amortisieren. Gehen wir von einem Grenzsteuersatz von eher geringen 20% aus, dann ist dies ebenfalls der Faktor, um den man das Alterskapital sich verringert vorstellen kann. Also anstatt Kapitalbezugssteuer von rund 8% kann man mit einer Belastung von 20% rechnen.

Die zweite Variante ist der vollständige Bezug des Sparkapitals. Dabei wird die Kapitalbezugssteuer fällig. Danach ist es vorerst bewegliches Vermögen, das der Vermögenssteuer unterliegt.


Abb. 2: Drei Varianten

Nach Bezug betrachten wir die Sub-Varianten (i) Leibrente und (2) selbstgewähltes Portfolio (Entnahmeplan). Wir haben also schon die Steuer abgeführt. Die Kapitalbezugssteuer ist kantonal und kommunal, d.h. sie unterscheidet sich von Dorf zu Dorf. Zudem sind sie progressiv, d.h. je höher der Bezug desto höher der Steuersatz. In der Tabelle 1 sind ein paar Gemeinden aufgelistet. Gehen wir von 1. Mio aus, dann zahlen wir in der Stadt Zürich schon mal rund 88 kCHF. Das tut weh. Im Bezirk Appenzell würde man nur 56 kCHF löhnen, doch 32 kCHF weniger. Wohnortwechsel zu Sparzwecken sind heikel, denn der vormalige Wohnkanton geht bis an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit, um das Geld zu bekommen. Wer nicht mitwirkt, hat verloren. Der Kanton wird ausgespielt, wenn man innerhalb des Kantons optimiert. Ein Umzug nach Meilen, oder gar Kilchberg, bringt ja auch schon 11 kCHF.

Die zweite Optimierungsmöglichkeit ist das Splitting. Wenn man vor der Pensionierung die Firma verlässt (oder evtl. Teilpensionierung), kann man sich das Alterguthaben auf höchstens 2 Freizügigkeitskonti überweisen lassen. Die Beträge kann man dann in zwei verschiedenen Jahren beziehen und die Progression brechen. Dies ist mit der Spalte Sparmöglichkeit gezeigt. In Zürich kann man schlappe 20 kCHF sparen. Hat man noch eine Liegenschaft mit Hypothek, dann kann man die Erneuerung so legen, dass man noch vor dem 60. Geburtstag einen Bezug für das Eigenheim (WEF) macht, und so die Progression auf drei Tranchen verteilt. Damit springen noch ein paar kCHF ab (siehe Rechner der Eidg. Steuerverwaltung).

2500005000007500001000000Sparmöglich-
keit
Zürich Stadt1521233112518788775221528
Meilen1331229312460347696218338
St. Moritz1003722762417125620010676
Appenzell (AI)116442671241412558002376
davon Bund38121031216812230002376.00
Tab. 1: Kapitalbezugssteuer nach Wohnort (verh, kath)

Jetzt könnte man geneigt sein, vor dem Bezug ins Ausland auszuwandern. Hier ist es vor diesem Schritt wichtig abzuklären, ob Kapitalleistungen besteuert werden. Italien hat kürzlich Klarheit geschaffen, indem einfach 5% verlangt wird. Das würde bei einem Wegzug aus Zürich immerhin 38kCHF bringen, denn die Schweizer Steuer wird aufgrund des DBA zurückerstattet.

Nochmals anders ist die Situation, wenn das Geld schon auf einem Freizügigkeitskonto liegt. Dann würde die kantonale Quellensteuer zum Tragen kommen, und zwar von dort, wo das Konto liegt. In Tab. 2 sieht man ein paar Werte. Der Schluss ist besonders einfach: Mach ein Freizügigkeitskonto im Kanton Schwyz, am besten bei der KB. Hier ist der Satz 4.8%, nur wenig tiefer als in Italien. Bei Vorliegen DBA kommt der ausländische Tarif zur Geltung.


2500005000001000000Sparmöglich-
keit
SZ1006322813480132387
NW1131325313530132387
UR1478532258669032387
ZG1631335313730132387
TI12763282137783521409
GE1463835652800228718
AI1881340313830132387
ZH1881340313830132387
FR244136091313361311787
GR33813703131430132387
Tab. 2: Quellensteuer für Freizügigkeit

Schlussfolgerung: Man beginne mit Überlegungen zum Bezug oder Rente der Pensionskasse vor dem 60. Geburtstag!

Wir fassen zusammen. Bei der PK-Rente fallen je nach Steuersatz, hier geschätzt, 20% weg. 
Bei Kapitalbezug rechnen wir mit 4-8%. Bei der Leibrente fallen dann Stempel und Kosten von rund 7% an und Einkommensteuern von ca. $0.2\times0.2=0.04=4\%$ an. Total auch  rund 20%. Bei der Investition in Aktien fallen nur die Kapitalbezugssteuer von 8% (oder weniger)  und Transaktionskosten von weniger als 2% an. Also bei 1 Mio. CHF Altersguthaben wird daraus 800'000, 800'000 und 900'000.

Entnahmeplan mit Fonds

Die dritte Variante ist die Investition in einen Fond, ein Exchange Traded Fund, mit Thesaurierung, d.h. es gibt keine Dividenden und somit auch keine Steuern, von dem regelmässig Wertanteile entnommen werden. Der anfängliche Betrag wächst mit dem Fond und wird durch die Entnahmen wieder gemindert.

Banken, z.B. die Zuger KB, bieten solche Entnahmepläne an. Dabei stellen sie eine Auswahl von Fonds zur Verfügung. Diese haben natürlich Gebühren, aber zum Teil sehr grosse Unterschiede.

Es ist und war immer schon bekannt, dass man langfristig mit Aktien die höchste Rendite erwirtschaftet. Dies Erkenntnis ist so trivial wie missverstanden. Das Zauberwort ist langfristig. Denn kurzfristig kann es erheblich rumpeln, mit Verlusten bis 40%. Aber das spielt bei einem Horizont von 10 und mehr Jahren keine Rolle!

Als erstes zeigen wir die Renditen des DAX (weil uns die Daten gerade vorliegen, und der SPI ähnlich ist). 

Abb. 2: DAX-Renditen der letzten 70 Jahre

In der Abb. 2 sind die Index-Zuwächse des DAX von 1955 an verzeichnet. Es fällt auf, dass die negativen Jahre häufig einzeln auftreten. Nur in den Jahren 2000, 2001, 2002 gab es einen heftigen mehrjährigen Taucher. Klar wird aber auch, dass je grösser der Zeithorizont von Anlagen, desto ausgeglichener wird die Rendite. Dies zeigt Abb. 4 noch deutlicher.

Abb. 4: Renditen im Zeitfenster des DAX mit unterem Quartil als Gerade.

Hier sind die Renditen in einem verschiebbaren Fenster von 10 und 22 Jahren gezeigt. Bei 22 Jahren sind alle durchschnittlichen Renditen grösser als Null. Bei den 10-jährigen Abschnitten gibt es drei Jahre, in denen eine zehnjährige Anlage Verluste gebracht hat. Das sind die Zeitfenster, die die Jahre 2000, 2001, 2002 und 2008 überdecken. Die durchschnittlichen Renditen sind für 10 und 22 Jahre hohe 8.5%. Vorsichtshalber betrachten wir den Wert des ersten Quartils, 4.035% und 6.43%.

Abb. 3: SPI-Verlauf der letzten 35 Jahre

Abb. 4: CS-PK-Performance-Index

Wie legen die Pensionskassen an und wie wächst das Altersguthaben? Die Allokation, die Auswahl von Anlagen ist nach Klassen von Gesetztes wegen beschränkt. Die grössten Brocken sind Aktien, Obligationen und Immobilien. Weitere Zumischungen sind eher gering (und meist überteuert, also Rohstoffe, Alternative Investments etc.). Das Resultat solcher Allokationen sieht man in Abb. 4. Sie weisen tendenziell geringere Schwankungen auf, aber in Zeiten plötzlich steigender Inflation verliert man sowohl bei den Aktien auch als besonders bei den Obligationen (mit langer Laufzeit). Im 2022 weisen die Pensionskassen Verluste von über 10% aus. Die PK des Kantons Zürich hat 4.6 Mrd. CHF verloren.

Nun wird diese Rendite nicht direkt den Versicherten gutgeschrieben oder abgezogen. Wie bei einem römischen Brunnen wird zuerst die Reserve bestückt, denn die Versicherten haben eine Bestandsgarantie, d.h. das Alterskapital nimmt nie ab. Das muss man aber bezahlen mit der Reserve. Zudem wird bei sinkenden Renditen oder Inflation, der Bestand für die Rentner angepasst. Dies sollte nun aber mit steigenden Zinsen nicht der Fall sein, sondern zu Reservegewinnen führen. Die Reserve dient auch dazu, die Unternehmen von Sanierungsmassnahmen zu schützen. Wenn also der Deckungssatz 115% beträgt, dann kann man davon ausgehen, dass man die 15% mit Minderrendite bezahlt hat. (Bei 1 Mio. Kapital ... rechne.)


Abb. 5: BVG-Mindestverzinsung

Ein Anhaltspunkt, wie die Marktrendite der Investitionen sich als Gutschrift niederschlagen, sieht man am BVG-Mindestsatz. Der liegt schon seit Jahren bei 1%. Also, es kann durchaus sein, dass die Investitionen 13% abwerfen, beim Versicherten aber 4\% o.ä. anfallen. Es gilt hat vermeintliche Sicherheit vor Rendite.

Man kann davon ausgehen, dass im Ansparprozess von doch 35 und mehr Jahren, ein recht grosser Teil der Rendite verschwindet, besonders im Verhältnis zu einer reinen Aktieninvestition.

Und nun zur finalen Berechnung. Ausgangslage Kapital von 1. Mio., Umwandlungssatz optimistische 5.5%, d.h. Verzinsung von rund 1.75%. Damit monatlich netto CHF  $0.8\times 55/12=3667.--$ (ohne Inflationsausgleich). Aktieninvestition mit einer Bruttorendite von 4% und 22 Jahren Laufzeit: $a=\sum_{j=1}^{22}(1.04)^{-j}=0.069$ und $900000\times0.69/12=5175.-$. In der Rendite haben wir die Vermögenssteuer gedanklich abgezogen (ca. 0.5%). Das sind schlappe 40% mehr.


Fazit

Die Pensionskassen-Rente ist aufgrund der Steuern und der geringen Rendite keine gute Investition. Dass man extrem länger als erwartet lebt ist unwahrscheinlich. Die Sicherheit, regelmässig Einkommen zu haben, hat unserer Meinung nach viel zu hohe Kosten. Zudem unterstellt der Umwandlungssatz eine sehr hohe Reserve für die Langlebigkeit, das Risiko also, dass die Sterbetafel zu optimistisch (für den Versicherer, nicht den Versicherten) ist.

Die Leibrente ist steuerlich ein Monstrum, das zudem die Ineffizienz der Gesetzgebung zeigt. Völlig unnütz verwendet sie versicherungs-mathematische Modelle, die bei Inflation nicht einmal den gewollten Effekt zeitigen. Positiv ist die Aufteilung in garantierte Rente plus Überschuss, was auch für die Pensionskasse sinnvoll wäre. 

Der Entnahmeplan ist aufgrund der viel höher zu erwartenden Rendite und den viel besseren steuerlichen Massgaben die wirtschaftlichste Variante. In Kombination mit dem Brechen der Progression und dem Zusammenspiel mit der Wohnförderung kann man sich noch eine höhere Steuerersparnis erzeugen. Man muss sich allerdings trauen, der Vernunft anstatt der Angst zu folgen. Dies ist in Zeiten schlechter Börsenkonjunktur ein Sprung des Glaubens. Dass es solche Angebote gibt, zeigt folgender Link

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*) Die Herleitung der Formel:

Das Modell dahinter ist eine Rente von $m$, die über 22 Jahre läuft (durchschnittliche Lebenserwartung über 65 Jahre hinaus, Frau und Mann gemittelt) und mit 2 Jahren Vorlauf vereinbart ist.

$$B=\frac{B_1}{(1+m)^2}$$ 

mit 

$$B_1=m\sum_{i=1}^{22}\frac{1}{(1+m)^{i-1}}\\=m(1+q+q^2+...+q^{21})\\=m(1+q(1+q+...q^{20}))=m(1+q(1+B_1/m-q^{21}))$$ 

und daraus wiederum 

$$B_1(1-qB_1)=m(1+q(1-q^{21}))$$

 und 

$$B_1=m \frac{1-q^{22}}{1-q}.$$ Mit $q=1/(1+m)$ folgt nach Erweitern :

$$B_1=\frac{(1+m)^{22}-1}{(1+m)^{21}}$$

Einsetzen ergibt die Formel für $e$ von oben. Soweit, so gut. 


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